Fifth Avenue

Ich will nicht soweit gehen zu sagen, dass sich lähmendes Entsetzen ausbreitete, aber eine große Verwunderung war nach der ersten Partie Fifth Avenue schon feststellbar. Das sollte ein alea-Spiel sein, bei dem die Partie zu Ende war, bevor sie, vom Gefühl her, erst richtig angefangen hatte? Aber um gleich zur Beruhigung beizutragen, es war nur die erste Partie. Die anderen gestalteten sich sehr viel ereignisreicher und spannender, sodass im Endeffekt doch ein positives Gesamtfazit übrig bleibt.

Fifth Avenue spielt in sieben Blocks, drei außen hintereinander, einer zentral in der Mitte, rechts und links der berühmten Einkaufsstraße südlich des Central Parks in Mid-Manhattan. Jeder der Blocks (ein von Straßen umrandetes, rechteckiges Bebauungsgebiet) zeigt fünf verschiedenfarbige Bauplätze, auf denen entweder Hochhäuser in beliebiger Anzahl oder bis zu zwei der vier unterschiedlichen Geschäftsarten gelegt werden können. Je mehr Geschäftsarten, nicht Geschäfte, einem Hochhaus benachbart sind, desto wertvoller ist dieses bei einer Wertung. Korrespondierend zu den Bauplätzen gibt es Karten mit den Werten 4, 5 und 6, sowie einen dicken Stapel schwarzer Karten auch mit diesen Werten, die neutral sind und sozusagen als Joker fungieren. Als letztes Spielelement müssen die beiden Kommissionssteine erwähnt werden. Die Kommissionen bewegen sich vom Startplatz am Empire State Building unter Markierung des eingeschlagenen Wegs immer Richtung Central Park. Nur von dort kommen sie wieder zurück zum Start, woraufhin das Spiel unterbrochen wird. In den Blocks des zurückgelegten, ja markierten Wegs kommt es zu Versteigerungen um das Recht neue Hochhäuser bauen zu dürfe.

Die Versteigerungen sind ganz pfiffig geregelt. Die erste Karte muss die Farbe des Bauplatzes haben, um den es geht. Schade, wenn man keine solche hat. Danach dürfen Karten dieser Farbe und schwarze Karten verwendet werden. Alle gebotenen Karten werden offen abgelegt und das Gebot kann, wenn man wieder an der Reihe ist, weiter erhöht werden. Ist man schon in einem Block vertreten, darf nur für diesen Bauplatz geboten werden. Damit wird sichergestellt, dass ein Baulöwe nur einmal pro Block vertreten ist. Alle, die noch nicht vertreten sind, können sich um jeden freien Bauplatz bewerben. Mit der Versteigerung wird auch geregelt, wie viel gebaut werden darf. Ist eine Karte mit dem Wert 6 unter dem Gebot, darf nur ein Hochhaus gebaut werden, ist die höchste eingesetzte Karte eine 4 dagegen drei. Über den Daumen könnte man sagen, hohes Gebot bedeutet wenig bauen und umgekehrt. Da aber Gebote oft in dem Bereich um die 20 gehen, wird eher wenig gebaut. Weil ja alle Gebote offen liegen, kann das Bieten auch taktisch genutzt werden. Wenn man weiß, dass ein Konkurrent unbedingt bauen will, treibt man ihn solange hoch, bis er eine 6 gespielt hat und steigt dann aus. Wenn es denn klappt. Und noch eine Tücke steckt in der Versteigerung. Sind nämlich schon alle Bauplätze belegt, muss bzw. darf, wenn er schon vertreten war, der Gewinner einen Baustopp verhängen. Eigentlich müsste man genauer sagen Totalsanierung, denn alle Hochhäuser werden abgerissen und der Block wird forthin nicht mehr beackert. Das bringt dem Sanierer einen Punkt pro Hochhaus und den anderen auch noch etwas, ist aber schon ganz schön ärgerlich. Jemand, der dort stark vertreten ist, wird dann kein großes Interesse haben, also kräftig mitbieten. Wenn er denn mindestens eine passende Farbkarte hat und entsprechend Karten potent ist.

Ich bin bisher ziemlich ausführlich auf die Versteigerungen und ihre Auswirkungen eingegangen. Das macht es mir nun leichter den Spielablauf zu beschreiben. Von den 36 Geschäftsplättchen wird in jeden Block eines zufällig platziert, 20 weitere werden in vier Fünferabschnitten, die nochmals in einem Dreier- und Zweierabschnitt unterteilt sind, bereit gelegt. Jeder Mitspekulant erhält eine Karte jeder Farbe sowie vier schwarze. Was sich zunächst viel anhört, aber nach der ersten Runde von Versteigerungen kann es schnell zu einem Mangel an diesen schwarzen Karten kommen. Wenn dann noch jeder zwei Hochhäuser platziert hat und drei in den eigenen Vorrat genommen hat, kann es losgehen.
Der Zug eines Spielers gliedert sich in drei Phasen, die hintereinander ausgeführt werden. In Phase 1 besteht die Wahl zwischen vier möglichen Aktionen:

A) 3 Hochhäuser vom allgemeinen in den eigenen Vorrat nehmen, wie man es z.B. von El Grande her kennt. Diese Aktionen sollte man nie zu spät durchführen, denn wenn eine Versteigerung ansteht und man hat nichts zum Bauen... Die lieben Mitspieler werden das gegebenenfalls gnadenlos ausnutzen.

B) Ein Geschäft in einem Block platzieren. Geschäfte machen Hochhäuser wertvoller und es gibt nur zwei benachbarte Bauplätze. Also diese schnell belegen. Wird das vorletzte Geschäft aus dem Dreier- bzw. Zweierabschnitt entnommen , wird das letzte automatisch verdeckt (!) im Central Park platziert, wo es auch immer zu Versteigerungen kommt. Nach jedem Fünferabschnitt, wobei nur drei daraus in die Blocks kommen, gibt es Bonuspunkte. Nach dem ersten vier, wenn man in mindestens drei Blocks vertreten ist (am Anfang waren es ja nur zwei), nach der zweiten 6 bei vier, nach der fünften 8 bei fünf. Das sind durchaus nicht zu verachtende Siegpunktzahlen.

C) Eine schwarze Karte nehmen und einen Kommissionsstein bewegen. Schwarze Karten sind immer gerne gesehen und die Kommissionen werden dadurch verdammt schnell. Denn, und da greife ich etwas vor, in Phase 3 muss auf jeden Fall noch einmal eine Kommission bewegt werden.

D) Ein Stadtviertel werten. Die wichtigste Möglichkeit zu Punkten zu kommen. 1, 2, 3, 5, 8 Siegpunkte pro Hochhaus gibt es für 0, 1, 2, 3, 4 benachbarte Geschäftsarten, nicht Geschäfte. Ein kleines Problem gibt es allerdings. Gewertet werden kann nur, wo sich gerade eine der Kommissionen befindet.

Die lieben Konkurrenten lassen natürlich keine Kommission zurück, wo der nachfolgende wertvolle Hochhäuser stehen hat. Da dann dort nur oder zumindest wertvollere gegnerische Häuser stehen, vergessen wir die Aktion. Na ja, vielleicht nicht ganz. Denn nun darf man in Phase 2 zwei schwarze Karten nehmen. Und die sind allemal stärker als die beiden unterschiedlichen farbigen, die man bei den drei anderen Aktionen bekommt. Zudem wollen diese farbigen Karten gezielt ausgewählt sein. Eine Farbe eines Bauplatzes, den man sowieso nicht mehr bebauen kann oder will, ist vergeudet. Dafür wäre es besser einen wertvollen, bebauten Block vor dem Baustopp zu verteidigen. Eine Partie endet, wenn alle Geschäfte platziert sind oder zwei Baustopps verhängt wurden. Dann kommt es zur Schlusswertung aller Blocks und schließlich des Central Parks. Dazu werden drei der dort abgelegten Geschäftsplättchen aufgedeckt und die gebauten Hochhäuser entsprechend gewertet. Man könnte vielleicht von verborgenen Siegpunkten sprechen, denn Investitionen am Central Park wirken sie ja nicht sofort aus und dann ist auch noch unsicher wie.

Ich hoffe meine Ausführungen haben deutlich gemacht, dass es sich bei Fifth Avenue um ein Mangelspiel par exellence handelt. Eigentlich müsste man ja ein Geschäft platzieren, aber es sind keine Häuser mehr im Vorrat und Versteigungen drohen. Aber Häuser allein nützen auch nichts, wenn keine schwarzen Karten da sind. Also sollte man eher werten, dummerweise begutachtet die Kommission gerade keine eigenen Häuser. Es gilt also aus den momentanen Situationen das Beste herauszuholen. Und da sind die Strategen gefragt, denn Fifth Avenue kommt bis auf das Umdrehen der Geschäfte am Central Park zu Ende der Partie ganz ohne Glückskomponente aus. Man benötigt also die eine oder andere Partie, um alle Vernetzungen zu erkennen, die in den einzelnen Spielzügen liegen. Und deswegen ist auch die erste Partie so fürchterlich in die Hose gegangen, denn da gab es etwa folgenden Gedankengang.
Was bringt Siegpunkte? Geschäfte, also Geschäfte platzieren. Werten? Doch nicht für den Gegner, na gut gibt halt auch keine schwarzen Karten. Bonuspunkte? Wenn keiner sie bekommt, ist doch o.k. Versteigerungen? Na, ja eine Runde können wir ja mitmachen, dann sind die (schwarzen) Karten sowieso weg. Häuser besorgen? Wozu bei der nächsten Versteigerung nützen sie mir ohne Karten nichts. Also? Geschäfte platzieren! Um die wenigen Hochhäuser besonders wertvoll zu machen. Und schnell war die Leiste mit den Geschäften leer geräumt.

Nein, ganz andere Strategien sind möglich. Möglichst schnell in vielen Blocks vertreten sein, um die Konkurrenten durch die Bonuspunkte nervös zu machen. Auf die versteckten Punkte am Central Part zu setzen, um während der Partie das wahre Potenzial zu verschleiern (alle auf den Führenden!). Die Kommissionen beschleunigen, um bei Versteigerungen die Konkurrenten auf dem falschen Fuß zu erwischen, usw. Wenn alle vom massiven Platzieren der Geschäfte abweichen, dann wird ein Spiel daraus, ein gutes sogar. Einzig die Versteigerungsphase stört etwas, denn sie zieht sich doch ganz schön in die Länge. So ist auch die Spieldauer von um die 100 Minuten zu erklären.

Zwei Besonderheiten will ich noch erwähnen. Die Regel sieht auch eine, gar nicht schlechte, Zwei-Personen-Variante vor. Dabei kommt ein fiktiver, dritter Mitspieler zum Zuge, der bei Versteigerungen solange schwarze Karten aufdeckt, bis eine doppelt erscheint. Somit sind Werte zwischen acht und 21 möglich. Natürlich ist hierbei die Glückskomponente erheblich höher und es steht auch mehr an Kartenwert zur Verfügung, da man öfter dran kommt. Dennoch geht vom Reiz des Spiels wenig verloren. Die Rückseite des eigentlichen Spielplans zeigt die zweite Besonderheit. Dort gibt es noch einmal den Spielplan, nur mit sechs Bauplätzen pro Block. Dies ist besonders bei vier Mitspielern eine Alternative, da sich durch das Mehr an Platz auch ein Mehr an Möglichkeiten ergibt.

Fifth Avenue kommt zwar von seiner Ausstrahlung nicht an seinen Vorgänger Puerto Rico heran, passt aber dennoch sehr gut in das alea-Programm. Es ist klar, dass Fifth Avenue bei der Wahl zum Spiel des Jahres keine Chance haben konnte, aber genau so klar ist, dass es, neben anderen, meine Stimme für den deutschen Spielepreis bekommt. (mw)

Steckbrief
Fifth Avenue
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Wilko Manz alea 2 - 4 Spieler ab 12 Jahre 80 - 110 Minuten Alexander Jung