Kohle & KolonieKohle & Kolonie

Während internationale Konkurrenz und Energiewende dafür sorgen, dass bald auch die letzte Zeche im Ruhrgebiet schließt, können wir mit dem Spiel Kohle & Kolonie von Thomas Spitzer erneut in die Vergangenheit abtauchen, als die Steinkohleförderung auf dem Sprung war, einer ganzen Region ihren Stempel aufzudrücken. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Spitzer den ersten Teil seiner "Kohle"-Trilogie bei Spielworxx: Ruhrschifffahrt enthielt viele interessante Elemente, konnte jedoch wegen der begrenzten strategischen Möglichkeiten nicht vollständig überzeugen. Allerdings deutete das Spiel das Potential des Autors an und war wie ein Versprechen für die Zukunft. Löst der nun vorliegende Teil 2, Kohle & Kolonie, dieses Versprechen ein?

ZechenÜber fünf Runden versuchen drei bis fünf Spieler, lukrative Zechen zu erwerben und am Ende erfolgreicher als die anderen zu sein. Eingebettet ist das Ganze in die Geschichte des Ruhrgebiets von der Industriellen Revolution bis ins 20. Jahrhundert. Ein bedeutender Aspekt dieser Geschichte ist die sog. Konsolidation: Durch Zusammenlegung reagierten die Betreiber vieler älterer Kleinzechen auf den Fortschritt in der Abbautechnik, der zu neuen Grubenfelder von gigantischen Ausmaßen führte. In Kohle & Kolonie wird dies in gewissem Maße nachgespielt: Nach und nach werden ab der dritten Runde benachbarte Kleinzechen zu einer Großzeche vereinigt. Wer als Beteiligter in einem Bietprozess sowohl die Mitspieler als auch das ominöse, im Hintergrund agierende Kohlen-Syndikat ausstechen kann, darf die neu entstandene Zeche und das Dampfmaschineninventar des Grubenfelds sein eigen nennen.

Zechen auf dem SpielplanDer Ablauf einer Runde ist klar getaktet und wird durch eine Leiste auf dem großen Spielbrett angezeigt. Durch die Auswahl von Bonusmarkern, die vergünstigte Zusatz-Aktionen oder andere Vorteile bieten, wird die Spielerreihenfolge festgelegt. Es folgen zwei Aktionsrunden , in denen die Spieler u. a. neue Zechen erwerben, Siedlungen errichten oder "Kumpel" an diversen Orten des Spielbretts oder auf der eigenen Auslage einspielen und umgruppieren können. Zu dieser Auslage gehören zum einen fünf Übertagebaukarten, auf die Kumpel und Bergbauingenieure zwecks Gewinnung von Siegpunkten, Geld oder anderen Vorteilen gesetzt werden können. Sie können im Laufe des Spiels aufgewertet werden. Zum anderen erlaubt ein großes Spielertableau, die Zechenkarten auf strategisch geeigneten Stellen abzulegen. Es gilt nämlich, Grubenunglücke zu verhindern, die nach den Aktionsrunden eintreten können und die durch das Ziehen von Unglüchsmarkern aus einem blickdichten Beutel ermittelt werden. Tritt ein solches Unglück ein, kann man einen oder mehr Kumpel verlieren, büßt an Siegpunkten ein und löst ein Ereignis aus. Diese Ereignisse haben häufig etwas mit dem Kohlen-Syndikat zu tun. Für gewöhnlich erwirbt diese Organisation in jeder Runde eine Zeche (und stattet diese als Erkennungszeichen mit einer Dampfmaschine aus), doch kann sich diese Anzahl durch die Unglücke auf bis zu drei steigern. Aber auch das Syndikat muss u. U. Verluste der Finanzkraft hinnehmen.

KohlespeicherIn Kohle & Kolonie geschieht viel: Ein Spieler kann z. B. Dampfmaschinen kaufen, damit seine Einnahmen erhöhen und am Ende des Spiels Siegpunkte einheimsen. Er kann seine Kumpel zu Eisenbahnern machen, um sich damit attraktive Bonusplättchen zu sichern und am Ende für vollständig mit eigenen Kumpeln besetzte Bahnlinien ebenfalls Siegpunkte zu erhalten. Oder er bemüht sich um die Entwicklung seines Unternehmens. Dazu benötigt man allerdings Geldeinnahmen durch Zechen sowie die lokalen Arbeiter aus den Dörfern, die man beim Zechenerwerb zu sich holt.

Im Laufe einer Runde haben zwei Wertungen besonderes Gewicht: Während die Spieler bei der ersten Siegpunkte für ihre Zechen und Siedlungen erhalten, können sie in der zweiten am Rundenende Geld und Siegpunkte mittels ihrer Übertagekarten generieren. Dies gilt es im Auge zu behalten, denn spätestens ab der dritten Runde ändern sich durch die Konsolidierungen die Verhältnisse auf dem Spielbrett: siegpunktträchtige Grubenfelder werden dann plötzlich zu etwas mageren Monopolisten. Dieser neuen Situation kann man Rechnung tragen, indem man seine Zechen breit streut und dabei auch Grubenfelder berücksichtigt, die erst in der letzten Spielrunde zusammengelegt werden. Nach den ersten Konsolidierungen wird dann auch die Bedeutung der Siedlungen klar: Sie bringen besonders viele Punkte, wenn man an möglichst vielen Grubenfelder im Umland beteiligt ist und beteiligt bleibt.

Uuml;berblick über den Spielplan

Kohle & Kolonie ist ein Spiel, das sich an den erfahrenen Vielspieler richtet. Doch auch dieser wird sich zunächst durch das umständliche, mit vielen Details aufwartende Regelheft durcharbeiten und sich in einer ersten Partie die Sporen verdienen müssen. Doch das, was ihn erwartet, ist es allemal wert: Spitzers aktuelles Kohle-Spiel ist in all meinen Spielerrunden ausgesprochen gut angekommen. Das liegt an dem spannenden Wettlauf um Positionen und Bonusplättchen, die daraus resultierende hohe Interaktion sowie an dem strategischen Potential, das Bonus- und Zusatzaktionen bieten. Anders als in dem linearen "Ruhrschifffahrt" ist in Kohle & Kolonie daher Vielfalt angesagt und aus strategischer Sicht geradezu Pflicht. Vor allem die Konsolidierungen entpuppen sich dabei als zweischneidig, da sich vor allem zu starke Spezialisierung auf Zechen, die früh konsolidiert werden, bitter rächen kann.

KokereiDas positive Spielgefühl wird unterstützt durch die sehr gute Ausstattung des Spiels und die zwar dunkle, aber damit gerade thematische Grafik. Dieses Gefühl kann kaum getrübt werden durch geringfügige Mängel, die nicht verschwiegen werden sollen. Da sind zum einen kleinere Regellücken, die man mangels von Internet-FAQ bislang noch selbst intuitiv füllen muss (so stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Kumpel als Eisenbahner auch die Strecken wechseln können). Die Funktion des Kohlen-Syndikats als Dampfmaschinenlieferant und Konkurrent geht zum anderen nicht völlig auf und ist zu stark abhängig von Anzahl und Agieren der Mitspieler, zumal wenn sich alle vollständig vor Grubenunglücken schützen und so weniger Dampfmaschinen auf das Brett gelangen, als wünschenswert wäre. Damit es dazu kommt, müssten sich nämlich einzelne Spieler opfern, indem sie ihre Zechen bewusst nicht schützen, damit Grubenunfälle herausfordern und das Syndikat so stark halten. Ein weiteres kleines Manko ist der hohe Verwaltungsaufwand der Konsolidierungen, die sich vor allem in einer Partie zu fünft recht lang hinziehen können. Da wird die angegebene Spielzeit von 120 Minuten dann doch deutlich überschritten. Die Vollbesetzung hat dahingegen jedoch den Vorteil, dass der Wettlauf um die lukrativen Zechen und Siedlungen noch spannender ist als im Spiel zu dritt oder viert. Doch auch hier behält Kohle & Kolonie seinen Reiz, nur verlagern sich die Gewichte ein wenig (so sind die Bahnstrecken in Dreierpartien bedeutsamer als in den anderen Konstellationen).

HütteIm Vergleich zu "Ruhrschifffahrt" wirkt Kohle & Kolonie viel mehr wie aus einem Guss. Das liegt auch an einer gewissen Aufwertung des Mechanismus gegenüber den historischen Gegebenheiten, ohne die thematische Einbettung und den Bezug zur Region aus den Augen zu verlieren. Tatsächlich wird mit historischen Informationen eher gegeizt, der interessierte Spieler ist auf Eigenrecherche angeweisen. Den zweiten Teil des Titels ("Kolonie") kann er gar nur durch logische Schlussfolgerung erschließen, da dieser Begriff nirgendwo erläutert wird (natürlich sind die Ansiedlungen von Kumpeln in Bergbaukolonien gemeint). Spielmechanisch hat der Autor einen ganz anderen Zugriff gewählt, wenngleich kleinere Details (z. B. das Ziehen von Markern aus einem Beutel ) noch von fern an das Vorgängerspiel erinnern. Die Rezension von "Ruhrschifffahrt" schloss ich mit dem Satz: "Es bleibt [...] zu hoffen, dass die weiteren Kohle-Spiele das Verhältnis von Mechanismus und historischer Treue noch besser austarieren." Kohle & Kolonie meistert diese Aufgabe auf gute bis sehr gute Weise und sei daher jedem Strategiespieler wärmstens ans Herz gelegt. (thb)

Steckbrief
Kohle & Kolonie
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Thomas Spitzer Spielworxx 3 - 5 Spieler ab 12 Jahre ca. 120 Minuten Harald Lieske