Als ich die Ankündigung las, dass in der Reihe "Spiele für Zwei" bei Kosmos ein weiteres Spiel von Michael Rieneck erscheinen würde, war ich überhaupt nicht begeistert. Sein Erstling, der Druidenwalzer, ist ein Gehirnverdreher und ich behaupte boshaft, er wäre daran Schuld, dass es Windungen im Gehirn gibt. Nun ist ein anderes Spiel ein anderes Ding und muss seine eigene Chance bekommen. So versuchte ich möglichst ohne Vorbehalte an "Dracula" heranzugehen.
Bei Dracula übernimmt ein Spieler die Rolle des Dracula, der andere Spieler die Rolle des Dr. van Helsing. Jeder Spieler besitzt 15 Begegnungskarten. Darunter befinden sich bei Dr. van Helsing fünf Jungfrauen und bei Dracula fünf Särge. Diese Karten sind die Zielkarten und der Gegenspieler wird versuchen, diese Karten im Laufe des Spiels zu finden. Außerdem gibt es als Begegnungen Kämpfer in den Stärken 1 bis 3, je nach Seite sind es Vampire oder Vampirjäger. Ansonsten gibt es noch Dr. van Helsings Kreuz und Draculas Amulett, deren Entdeckung für den jeweiligen Gegenspieler äußerst unangenehm ist.
Aus diesem 15 Karten sucht jeder Spieler sechs Karten aus. Die 12 ausgewählten Karten, deren Rückseiten identisch sind, werden gemischt und je eine auf die 12 Gebäude des Spielplans gelegt. Dr. van Helsing beginnt das Spiel in der Kutschenstation, Dracula im entgegengesetzt liegenden Hafen und er beginnt das Spiel. Jeder Spieler besitzt außerdem vier Energiesteine, deren Verlust auch den Verlust der Partie zur Folge hat.
Ein Spielzug besteht immer aus Bewegung und Begegnung. Er endet nur bei einer Begegnung mit einer Karte des Gegners oder auf eigenen Wunsch. Bei einer Bewegung zieht man seine Figur von einem Gebäude senkrecht oder waagerecht auf ein benachbartes Gebäude. Danach kann man, muss aber nicht die dort liegende Begegnungskarte aufnehmen. Lässt man sie liegen, darf man sofort weiterziehen. Schaut man sie sich an und es ist eine eigene Karte, so kann man sie mit einer der nicht auf dem Spielplan liegenden eigenen Begegnungskarten austauschen. Ist es eine gegnerische Karte legt man sie offen an den Ort zurück. Nun kommt die zweite Sorte Karte ins Spiel: jeder Spieler besitzt 10 Handlungskarten. Diese werden zu Beginn gemischt und fünf auf die Hand genommen. Die anderen fünf werden zur Seite gelegt und erst aufgenommen, wenn die eigene Kartenhand leergespielt wurde. Diese Handlungskarten haben mehrere Funktionen: sie geben die Bewegungsweite und die Kampfstärke vor, erlauben das Versetzen einer Barriere und erlauben eine Sonderaktion. Nachdem nun eine fremde Begegnungskarte aufgedeckt wurde, wählt man eine seiner Handlungskarten aus, deren Handlungsmöglichkeiten nun alle durchgeführt werden. Als erstes wird die Bewegungsweite überprüft. Reicht die Zahl für die Anzahl der gegangenen Schritte, so passiert nichts, ansonsten ist für jedes Feld, das mehr gezogen wurde, ein Energiestein abzugeben. Nun trifft man auf die Begegnungskarte. Ein Sarg oder eine Jungfrau wird einfach einkassiert und durch eine eigene Karte ersetzt. Bei einem Vampir bzw. Vampirjäger werden die Kampfstärken verglichen. Gewinnt der Spieler, entfernt er die Karte von Spielplan und legt dort eine eigene Karte hin. Bei einem Unentschieden passiert nicht. Verliert aber der Spieler, so muss er einen Energiestein abgeben. Dies passiert ihm auch, trifft er, je nach Rolle, auf das Kreuz bzw. Amulett.
Danach wird eine Barriere versetzt bzw. zu Beginn ins Spiel gebracht. Sie zwingen die Spieler zu unliebsamen Umwegen. Es gibt sie in vier Farben und die Karte schreibt vor, welche Barriere zu versetzen ist. Zwei Karten erlauben dabei die freie Wahl. Die Barrieren dürfen dabei aber nie den Spielplan in zwei Teile trennen. Als letztes wird die Sonderaktion ausgeführt. So kann z. B. van Helsing nach einem gewonnenen Kampf noch einen Spielzug ausführen oder Dracula teleportiert sich an einen Ort seiner Wahl.
Das Spiel kann auf drei Arten enden. Zum einen kann ein Spieler seine vier Energiesteine verlieren. Hier gibt es aber noch einen Schutz. Er kann seinem Kontrahenten freiwillig eine seiner Zielkarten geben und darf dafür zwei bereits abgegebene Spielsteine zurücknehmen. Das Spiel endet auch, sobald ein Spieler die fünf Zielkarten seines Gegenspielers gefunden hat. Nun muss dieser aber die Karten gar nicht auf den Spielplan legen und dafür gibt es das dritte Spielende: Immer wenn die beiden Spieler zusammentreffen, darf der am Zug befindliche Spieler veranlassen, dass man gegenseitig die nicht auf dem Spielplan befindlichen Karten anschauen darf. Entdeckt er dort alle der von ihm noch nicht entdeckten Zielkarten, hat der Gegenspieler wegen Feigheit sofort verloren.
Die anfängliche Skepsis gegenüber Dracula wich mit dem ersten Spiel. Dieses erste Spiel benötigt man zur Gewöhnung an den Spielrhythmus. Es ist ungewohnt, sich erst zu bewegen, und dann eine Karte zu wählen, die auch noch alles weitere des eigenen Spielzugs bestimmt.
Nachdem man die kleine Hürde genommen hat eröffnet sich hier ein Spiel, das viele Spieltypen zu einem harmonischen spannenden Spiel verbindet. Es ist ein Kartenspiel, denn es enthält Karten und damit einen Glücksfaktor. Dieser ist hier nicht störend, tritt er beiden vielen Entscheidungen in den Hintergrund. Die aber durch die Karten hervorgerufenen unterschiedlichen Konstellation lassen jedes Spiel anders werden. Von Vorteil ist es bei Dracula, wenn man sich merken kann, was wo liegt oder zumindest zu welcher Partei eine Karte gehört. Deshalb ist der Memory-Anteil an Dracula nicht zu unterschätzen, denn wer weiß, wo was liegt, hat deutlich bessere Chancen, die Zielkarten des Gegenspielers zu finden. Weiterhin ist Dracula aber auch ein Deduktionsspiel, weil aus den bekannten Informationen geschlossen werden muss, wo noch eine Zielkarte liegen könnte. Ebenfalls hat Bluff einen guten Anteil am Spiel. Wenn ich eine neue Karte auslege, weiß der Gegenspieler, dass es meine ist und es ist natürlich in meinem Interesse, dass ich ihn möglichst oft auf mein Kreuz bzw. Amulett locke, zu den Kämpfern führe und von den Zielkarten fernhalte. Nicht zuletzt bietet Dracula auch eine Menge taktischer Möglichkeiten. Einmal durch die eigenen Spielzüge, aber auch durch die Anzahl der Zielkarten auf dem Spielplan. Nur eine Zielkarte erschwert es dem Gegner, sie zu finden. Findet er sie aber, bin ich in großer Gefahr das Spiel zu verlieren und bin so gezwungen, schnell weitere Zielkarten auf den Plan zu bringen.
Diese Vielfalt von Genres wurde hier mit beeindruckender Leichtigkeit vereint. Als Spieler merke ich diese Vielfalt nicht direkt, sondern genieße ein stimmiges, voll thematisches Spiel, dessen Ablauf bei mir in allen Partien hochspannend war. Sie entsteht schon durch das Thema und ist während des Spiels in jedem einzelnen Zug zu spüren. Es ist die Ungewissheit, auf was oder wen ich treffen werde und auf was oder wen mein Gegenspieler treffen wird. Hält meine letzte Zielkarte? Wird er entdecken, dass ich keine Zielkarte auf dem Plan habe? Bin ich für die nächste Begegnung gut gerüstet? Diese Fragen stellen sich fortlaufend, auch deshalb, weil die Auswahl an Handlungskarten erst groß, dann immer kleiner ist, um schließlich wieder groß zu werden. So sehr man sich den Sieg wünscht, so sehr man die Niederlage meiden möchte, beides ist das Ende des Spiels. Wie bei einem Roman verliert man dabei gut gewonnene Freunde und verlässt die Feinde. Doch da es kein Roman, sondern ein Spiel ist, kann man von vorne anfangen. Und weil kein Spiel dem anderen gleicht, bleibt die Spannung jedes Mal erhalten. (wd)
Steckbrief Dracula |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Michael Rieneck | Kosmos | 2 Spieler | ab 12 Jahre | ca. 30 Minuten | Bernd Wagenfeld |