Ausbreitungsspiele haben den Charakter zu Beginn nur eine kleine Spielfläche zu bieten, die sich im Spiel immer weiter vergrößert und so mehr Raum für Aktivitäten bietet. Die Vergrößerung entsteht entweder dadurch, dass Gebiete zunächst nicht erreichbar und somit nutzbar sind - dies trifft vor allem bei festen Spielplänen zu - oder sie wird durch eine wachsende Spielfläche erreicht. Mesopotamien ist ein solches Ausbreitungsspiel, bei dem die Spielfläche stetig wächst.
Damit der Spielablauf von Mesopotamien verständlich wird, erkläre ich es rückwärts, d. h. ich gehe von dem Spielziel aus. Dieses besteht aus vier Opfermarken, die zum großen Tempel zu bringen sind. Diese Opfermarken sind zunächst noch nicht auf dem Spielplan. Damit sie dort hin gelangen, muss man Hütten bauen. Von denen besitzt jeder Spieler vier und jeweils beim Bau wird eine Opfermarke als Sockel mit auf den Spielplan gebracht. Hat ein Mesopotamier dann die Marke zum Tempel gebracht, benötigt er dort Mana als Opferenergie. Dieses Mana erhält der Spieler überwiegend an den Steinkreisen, doch auch wenn einen Stein zum Tempel bringt, steigt das Mana. Wir brauchen also Steine um Steinkreise zu bauen und "irgend etwas" für den Hüttenbau: das ist Holz. Beides gibt es als Rohstoffe, Holz aus dem Wald, Steine im Gebirge. Zum Schluss nun brauchen wir noch Mesopotamier. Die entstehen ganz natürlich, aber da das hier keine Aufklärungsseite ist, beschreibe ich später nur die abstrakte, dem Spiel genüge tuende Version. Noch einmal zusammengefasst: Wir brauchen Steine und Holz für den Bau von Steinkreisen und Hütten. Mit den Hütten kommen die Opfermarken auf den Spielplan und in den Hüten vermehren sich die Mesopotamier. An den Steinkreisen und im Tempel bekommen wir Mana, das es schließlich ermöglicht, die Opfermarken im Tempel abzugeben und wenn ich meine vier Opfermarken als erstes abgegeben habe, bin ich der Gewinner.
Im Spiel läuft der Spielzug eines Spielers in drei Phasen ab. Zuerst darf er seine Mesopotamier bewegen. Genau fünf Mal darf ein Mesopotamier von einen Feld auf ein Nachbarfeld zeihen, mit zwei Ausnahmen: er darf nie zu einem Vulkan gehen und falls er ein Holz trägt, darf er nicht zu dem Tempel. So ein Mesopotamier ist sehr flexibel. Er kann sich bewegen oder auch nur dumm in der Gegend stehen, in jedem Fall kann er einige Aktionen ausführen. Steht er auf einem Feld mit einem Stein oder einem Holz, so kann er aufladen. Seine Tragkraft ist aber auf ein Teil beschränkt. Deshalb darf er seine Last auch einfach wieder ablegen. Sollte er an eine eigene Hütte kommen, darf er sich die Opfermarke aufladen. Diese ist nun aber heilig und darf nicht weggelegt werden. Der Weg dieses Mesopotamiers ist vorgezeichnet. Er wird zum Tempel gehen, die Marke opfern und anschließend Priester werden, was spieltechnisch heißt, dass die Figur zurück in den Vorrat des Spielers kommt. Sollten die Mesopotamier eines Spielers mal gegenüber den Mesopotamiern eines anderen Spielers in der Mehrheit sein, wird auch ein kleiner Raub nicht verschmäht. So wechselt Holz oder Stein auch mal den Besitzer, Opfermarken hingegen darf man nicht stehlen, denn die sind ja heilig. Zum Schluss kann ein Mesopotamier während seiner Bewegung einen Stein zum Tempel bringen. Dafür gibt es sofort ein Mana und außerdem steigt damit die Kapazität an Mana, die der Spieler aufnehmen kann. Manchmal wird es so einer Mesopotamier zu eng auf dem Spielplan und er verlässt ihn einfach. Dann gibt es ein neues Spielfeld, das vom verdeckten Spielfeldstapel genommen wird. Ein Vulkan wird irgendwo abgelegt und ein Ersatz genommen. Eine Ebene bringt neues Bauland für Hütten und Steinkreise. Ein Wald bringt neues Holz auf den Spielplan und ein Gebirge neue Steine. Die neuen Rohstoffe werden aber nur zum Teil auf das neue Spielfeld gelegt. Der weitaus größere Teil kommt auf bereits bekannte Felder mit gleichem Gelände. Der Entdecker unter den Mesopotamiern kommt dann auf das neue Feld und wenn es ein Gebirge oder einen Wald zeigt, darf er sich noch einen Rohstoff aufladen.
Nach der Bewegung kommt die Aktionsphase, in der der Spieler eine von vier Aktionsmöglichkeiten wählen muss. Stehen zwei eigene Mesopotamier auf einer Ebene und besitzen einen Stein, können sie dort einen Steinkreis errichten. Dabei darf allerdings keine fremde Figur stören und auch noch nichts auf der Ebene gebaut worden sein. Bei Hütten fällt der Bau leichter, denn hier sind Zuschauer erlaubt und sogar eine andere Hütte darf schon errichtet worden sein. Die beiden Mesopotamier, die die Hütte errichten wollen, benötigen dann nur noch ein Holz. Beim Bau einer Hütte wird zusätzlich immer eine Opfermarke unter die Hütte gelegt. Jede Hütte, bei der keine Opfermarke liegt, kann zur Vermehrung genutzt werden. Natürlich sind dazu zwei Mesopotamier notwendig, damit ein dritter hinzu kommt. Wer weder Bauen noch vermehren kann oder möchte, kann eine Karte ziehen. Sie darf in späteren Spielzügen eingesetzt werden und bringt dann Vorteile wie zwei Mana oder drei zusätzliche Bewegungspunkte.
Zuletzt wird der Spielzug abgeschlossen, in dem das Mana aus den Steinkreisen gewonnen wird. Aus jedem eigenen Steinkreis erhält man ein Mana, wenn dort mindestens ein eigener Mesopotamier steht. An fremden Steinkreisen hingegen sind mindestens zwei eigene Mesopotamier notwendig. Wenn ein Spieler in seiner Bewegungsphase die letzte Opfermarke zum Tempel gebracht hat, endet das Spiel sofort und dieser Spieler ist der Sieger.
Das Spiel ist ein Ausbreitungs- und Entwicklungsspiel, das aus vielen bekannten Mechanismen neu zusammengesetzt wurde. Die Komposition, die dabei entstanden ist, besticht durch ihren gradlinigen Spielverlauf bei einfachen Regeln. Mit dem beiliegenden Übersichtsblatt sind selbst die ersten Spielzüge einfach, weil exakt dargelegt ist, welche Möglichkeiten einem Spieler zur Verfügung stehen. Auch das Vorgehen ist leicht verständlich. Zunächst sind Holz und Stein zu besorgen. Dann können Hütten und Steinkreise gebaut werden und am Tempel die Managrenze erhöht werden. Alternativ bietet sich die Vermehrung an oder das Sammeln von Karten. Rohstoffe tauchen an bekannten Plätzen auf und können von den Spielern durch Entdeckungsreisen gesucht und gefunden werden. Einmal errichtete Bauten verschwinden nicht wieder und wer dem Spielziel näher kommt, wird durch den Verlust einer Spielfigur zwischenzeitlich geschwächt. Die taktische Frage bei allem Tun der Spieler besteht darin, die richtige Reihenfolge zu wählen, gegebenenfalls auf ein bisschen Glück beim Entdecken zu hoffen und durch beides ein wenig effizienter zu sein als die Mitspieler. So hat man während de Spiels nie das Gefühl, abgehängt worden zu sein. Erst eine Runde vor Schluss wird offensichtlich, wer seine letzte Opfermarke abgeben kann. Dann bieten nur noch die wenigen destruktiven Karten die Möglichkeiten, einen solchen Spieler zu stoppen. Mit seiner Spielzeit von weniger als einer Stunde und dem flotten Spielverlauf ist das Spiel geeignet, immer wieder auf den Tisch gebracht zu werden.
Mesopotamien spricht sowohl Gelegenheitsspieler als auch Viel- und Strategiespieler an. Gelegenheitsspielern sind das Ziel und der Weg verständlich, ohne dass sie gespielt werden. Dazu bietet Mesopotamien eine gute Optik und durch die Bewegung auch viel Kontakt mit dem Spielmaterial. Strategiespielern bietet es vielfältige Entscheidungsmöglichkeiten. Bei dieser Zielgruppe steht das Spiel in Konkurrenz zu Hazienda. Mehrfach bevorzugten Strategen Hazienda, weil dort keine Bewegungen vorkommen. Und so die strategischen Möglichkeiten - scheinbar - besser berechnet werden können. Auf der anderen Seite ist dies gerade die Herausforderung auch gegenüber Gelegenheitsspielern, die hier ein taktisches Spiel vorfinden, das man gut auch mit "Bauchgefühl" spielen kann. Haptik, Optik, Spielspaß stimmen hier. Ich wiederhole mich gern und empfehle wie in der Rezension zu Hazienda, beide Spiele auszuprobieren. Die Entscheidung mag oft genug für beide ausfallen. (wd)
Steckbrief Mesopotamien |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Klaus-Jürgen Wrede | Phalanx | 2 - 4 Spieler | ab 10 Jahre | ca. 45 Minuten | Franz Vohwinkel |