Bevor ich auf das Spiel Assyria eingehe, möchte ich kurz ein wenig auf die Geschichte und Geographie eingehen. Assyrien war ein Reich vom 20. Jahrhundert v. Chr. bis zum Jahr 612 v. Chr., dem Fall Ninives. Es erstreckte sich um das Zweistromland von Euphrat und Tigris und enthielt die damals bedeutenden Städte Ninive, Ur und die Hauptstadt Assur. Das Gebiet Assyriens gehört heute überwiegend zum Staatsgebiet des Iraks. Damals wie heute gab es in dem Gebiet wenig Niederschlag, was die Landwirtschaft jenseits der beiden großen Flüsse sehr schwer gestaltete.
Ein weiterer nicht unbedingt geläufiger Begriff in dem Spiel ist Zikkurate. Hierbei handelt es sich um pyramidenähnliche Bauten, die religiösen Zwecken dienten.
Natürlich lässt sich das Spiel auch ohne Vorwissen spielen, doch fällt es mit ein wenig geschichtlichem und kulturellem Hintergrund leichter. Das Spiel selbst besteht aus acht Spielrunden zu je drei Phasen, die ich zunächst einmal kurz beschreibe.
In Phase I, dem Ackerbau, erhält jeder Spieler Nahrung, mit der er in Phase II, der Expansion, seine Hütten versorgen muss. Während der Expansion werden Brunnen errichtet, was Siegpunkte bringt. Diese gibt es auch für einige Hütten, während andere Hütten Kamele - das Geld in Assyria - erwirtschaften. Mit diesem Geld werden in Phase III, die Aktionen, Zikkurate errichtet, Intrigen veranlasst und Opfergaben bereitgestellt, was später zu weiteren Siegpunkten führt. Der Erwerb von Pflügen und weiterer Nahrung hingegen dient der Absicherung der Ernährung in weiteren Spielrunden.
Drei Mal im Spiel gibt es eine Wertung, die nicht nur Siegpunkte sondern auch eine Überschwemmung mit sich bringt. Eine Schlusswertung rundet das Spiel ab.
Schauen wir uns nun die Dinge im Detail an. Auf jedem Sechseck des Spielplans ist eines von fünf Nahrungssymbolen aufgedruckt. Um eine Hütte - sie repräsentiert die Bevölkerung -ernähren zu können, muss ich genau diese Nahrung abgeben.
Beim Ackerbau werden 10 Nahrungskarten ausgelegt. Sie zeigen ein bis drei gleiche Nahrungsmittel oder sind ein Joker für genau eine Hütte. Diese werden nun in zwei Reihen zu je fünf Karten ausgelegt. Eine Karte wird weiter rechts ausgelegt, je wertvoller sie ist. Am wertvollsten sind Joker, bei anderen Karten richtet sich der Wert nach der Anzahl der Nahrungsmittel. Nun wählt jeder Spieler eine Spalte mit zwei Karten. Die linken Spalten enthalten weniger wertvolle Karten, aber zusätzlich bestimmt die Vergabe hier auch die neue Spielreihenfolge und wer weniger wertvolle Karten wählt, darf seine Spielzüge bis zum nächsten Ackerbau früher ausführen.
Schon hier beginnt die Cleverness des Spiels. Der Widerspruch zwischen Wert, sprich Menge, der Nahrung und der Spielreihenfolge erfordert von den Spielern erste Überlegungen. Wenig Nahrung bedeutet wenig Versorgung der eigenen Bevölkerung, bei späten Spielzügen hingegen findet man viele lukrative Plätze bereits besetzt vor.
Für die Expansion wird für alle Spieler gleichmäßig vorgegeben, mit wie vielen Hütten - der Bereich geht von 2 bis 4 - sie sich ausbreiten dürfen. Eine neue Hütte muss entweder neben ein eigenes Zikkurat oder neben eine eigene Hütte gestellt werden; zu Spielbeginn hat jeder Spieler genau ein Zikkurat auf dem Spielplan. Nachdem die neuen Hütten gesetzt sind, versorgt die Spieler diese mit Nahrung. Dies ist verpflichtend und eine Karte, die durchaus bis zu drei Hütten versorgen könnte, muss auch für eine einzelne Hütte abgegeben werden. Unversorgte Hütten werden abgerissen und wieder in den Vorrat des Spielers gelegt. Nun kommt die Topologie des Spielplans zum Tragen. Er zeigt die beiden Flüsse Euphrat und Tigris: Das Land zwischen diesen beiden Flüssen gilt als fruchtbar, der Rest als karges Ödland. Dort darf ein Spieler sofort nach seinem Hüttenbau Brunnen errichten, wozu er drei Hütten auf Sechsecken mit einem gemeinsamen Schnittpunkt besitzen muss. Brunnen bringen einmalig viele Siegpunkte. Abschließend bekommt der Spieler in der Expansion Siegpunkte und Kamele: Kamele gibt es für Hütten auf den Flussfeldern; Siegpunkte gibt es für jedes Bauteil eines Zikkurats und für alle anderen Hütten.
Hier schon kommen diverse Strategien zum Tragen. Begebe ich mit in die fruchtbare Mitte, wo ich mehr Punkte für meine Hütten bekomme und mich leichter ausbreiten kann oder aber versuche ich das Ödland mit Brunnen fruchtbar zu gestalten. Auch die Zikkurate dürfen nicht vernachlässigt werden, bringen sie doch jede Runde erneut Punkte, ohne dass sie versorgt werden müssen.
Bei den Aktionen nun gebe ich meine erworbenen Kamele wieder aus. Sprach ich gerade von den Zikkuraten? Sie können hier nun begonnen und ausgebaut werden. So ein Zikkurat besteht aus drei Teilen. Um eine Bodenplatte zu errichten bedarf es vieler Kamele und einer Hütte mit besonderen Gegebenheiten. Der Ausbau mit Mittelteil und Spitze hingegen erfordert nur Kamele. Doch Kamele sind auch gut für Intrigen, denn damit lassen sich Würdenträger bestechen. Dann verhelfen sie einem bei einer Wertung zu Siegpunkten und zu einem anderen Vorteil. Wer lieber den Göttern opfert, wird ebenfalls mit Siegpunkten belohnt, doch zählen hier die Bauplätze mit Zikkuraten. Zuletzt lässt sich noch Nahrung kaufen: Zum einen stehen die beiden Karten der nicht gewählten Spalte zur Verfügung, zum anderen besitzt jeder Spieler einen Pflug, der ein privater Joker ist. Nach Verwendung wird er abgelegt und kann nun zurückgekauft werden.
Auch hier gibt es eine Vielzahl von Alternativen und damit auch von Strategien. Zikkurate sind langsame, aber dauerhafte Siegpunktquellen, Intrigen hingegen versprechen viele Siegpunkte, sind jedoch mit einer Wertung beendet. Gleiches gilt für die Götteropfer, die dazu noch Zikkurate benötigen. Zuletzt will auch die Nahrung nicht außer Acht gelassen werden, die gerade für den Brunnenbau benötigt wird.
Nun noch kurz zu den Wertungen: Nach zwei, fünf und acht Spielrunden kommt eine Wertung. Dabei gehen sämtliche Hütten auf den Flüssen verloren und damit die Einnahmequellen für Kamele. Gleichzeitig werden die Intrigen und Götteropfer ausgewertet. Für die Intrigen werden die Einflüsse auf die verschiedenen Würdenträger gewertet. Die Punkte bestimmen sich dann aus den Größen der Expansionen. Der Mechanismus ist geschickt durchdacht und sorgt dafür, dass jede Platzierung seinen Wert hat. Dazu geben die Würdenträgen noch zusätzliche Siegpunkte, Kamele oder bringen einen eingesetzten Pflug zurück.
Einfacher funktionieren die Götteropfer: Je nach Größe der Opfer gibt es einen Multiplikator zwischen Null und Vier, der mit der Anzahl der Zikkuratsbauplätze multipliziert wird.
Diese Wertungen sind ebenfalls gut durchdacht. Sie belohnen den Spieler während des Spiels. Gleichzeitig geht ein wichtiger Teil des Aufbaus verloren, so dass die Expansion von neuem beginnen kann. Die Vielfältigkeit unterstützt dabei die verschiedenen Strategien und muss für den Erfolg harmonisch auf die restliche Spielweise abgestimmt sein.
Die Abschlusswertung ist dann einfach. Jedes Zikkuratbauteil, der Besitz eines Pfluges sowie noch vorhandene Kamele bringen weitere Siegpunkte. Danach endet das Spiel und natürlich gewinnt der Spieler mit den meisten Punkten.
Auch hier ist die Wertung wohldurchdacht. Der Bau der Zikkurate, der recht teuer ist, wird gestärkt und die Belohnung der Würdenträger sind auch bei Spielende noch interessant.
Wohltuend spielt sich Assyria. Die Regeln sind für ein Spiel dieser Art angemessen und werden nach kurzer Zeit verinnerlicht. Mit den ersten Spielrunden wird den Spielern sofort verständlich, wie die einzelnen Mechanismen ineinander greifen. Dann erschließen sich nach und nach die Strategien und können ausprobiert werden. Selten ist man dabei von den Mitspielern abhängig, denn es kommt vor allem auf die eigenen Wünschen und Planungen an. Der Zufall kommt in Form der Nahrung und der Größen der Expansionen daher. In beiden Fällen ist er überschaubar und kalkulierbar. So erfüllt er seinen Zweck, die Spiele unterschiedlich zu gestalten, was zu einem hohen Wiederspielreiz führt. Dazu ergibt die ständige Konkurrenz um Nahrung, Hüttenplätze und Würdenträger eine hohe Interaktion, vermeidet aber destruktive Elemente. Diese sind in Form der Überschwemmungen in das Spiel eingebaut: Sie sind vollständig kalkulierbar und ermöglichen ein Spiel auf einem recht begrenztem Spielplan.
So ist Assyria nicht nur unterhaltsam, sondern setzt einen Gegenpol zu den vielen Strategiespielen, bei denen die Möglichkeiten im Laufe des Spiels immer mehr werden. Hier ist anderweitiges Denken gefordert, denn nach jeder Wertung bekommt man die Chance, seine Position anders und hoffentlich besser aufzubauen.
Zur Spiel '09 in Essen erschienen viele, gute und sehr gute Strategiespiele. Assyria gehört in diese Gruppe und sticht hier durch seine Andersartigkeit heraus. Ich hoffe, es bekommt die Aufmerksamkeit, die es verdient, denn hier stimmen nicht nur der Ablauf, sondern auch die thematische Einbettung und ebenso die Optik mit ihren warmen Farben. (wd)
Steckbrief Assyria |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Emanuele Ornella | Ystari | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | 45 - 90 Minuten | Arnaud Demaegd |