Le HavreLe Havre

Bei der Verleihung des Deutschen Spielepreises 2008 an Agricola hat Autor Uwe Rosenberg erzählt, dass er sich auch deswegen so über den großen Erfolg freue, weil es im wahrsten Sinne des Wortes 'sein' Spiel sei. Jedes Element sei so, wie er es sich vorgestellt habe, jedes Regeldetail nach seinem Wünschen, kein Spieleredakteur habe ihm dazwischen reden können. Wozu das Alles geführt hat, siehe oben.

Bei der diesjährigen, nein ich muss ja schon sagen letztjährigen Rosenberg-Neuheit verhält es sich genauso. Wieder ist sie bei Lookout Games erschienen, wieder kann er einzig und allein für Schwächen verantwortlich gemacht werden. Aber um es gleich vorweg zu nehmen. Dazu wird es, wenn überhaupt, nur in ganz kleinem Maße kommen, und am Ende könnte das gleiche Ergebnis herauskommen wie bei Agricola. Wenn da nicht der starke Konkurrent Dominion aus dem Hans im Glück Verlag wäre. Le Havre ist ein Wirtschaftspiel, bei dem es, kurz gesagt, darum geht, durch den geschickten Umgang und Einsatz der Ressourcen, z.B. zum Bau von Gebäuden, und die kluge Ausnutzung deren Eigenschaften am Ende den größten Wert vorweisen zu können.

EisenschiffAuch am Schachtelinhalt ist der Einfluss des Autors erkennbar. Seine besondere Passion für Karten mit besonderen Eigenschaften ("Im Zug kann man so schön darüber nachdenken.") lässt 36 der insgesamt 110 Karten zu Sondergebäuden werden, obwohl nur maximal sechs für eine Partie gebraucht werden. Und in Essen waren schon zwölf weitere verfügbar. Über 400 Plättchen repräsentieren die neuen verschiedenen Ressourcen. Dazu kommen noch Spielfiguren und andere Plättchen. Zur Aufbewahrung hat man die nötigen Ziptüten gleich beigelegt und ein Inlett, weil es doch nur stören würde, weggelassen. Lobenswert. Die Ressourcenplättchen haben immer eine Grundvorderseite (z.B. Holz oder Fisch) und eine Rückseite mit dem veredelten Gut (hier Holzkohle bzw. Räucherfisch). Es gibt vier Arten von Ressourcen, Nahrung, Rohstoffe, Energie und sonstige Güter. Fisch wäre ein Beispiel für Nahrung, Holz für einen Rohstoff, der aber auch gleichzeitig als Energie genutzt werden kann, Korn oder Fell für ein sonstiges Gut. Korn kann zu Brot veredelt werden, das dann als Nahrung dient, Fell ist ein Handelsgut, das aber noch zu dem wertvolleren Leder aufgewertet werden kann.

Die Veredlung passiert in entsprechenden Gebäuden (z.B. wird in der Ziegelei Lehm zu Ziegeln gebrannt, wofür zusätzlich Energie gebraucht wird), ansonsten gibt es noch Gebäude, über die sich bestimmte Ressourcen beschaffen lassen, Gebäude, die Ressourcen zu Geld machen, oder solche mit anderen nützlichen Eigenschaften. Gebäude sind aber nun nicht einfach da, sondern müssen gebaut (der Standard) oder gekauft (eher selten) werden oder werden automatisch von der Stadt gebaut. Drei zufällig zusammengestellte Stapel mit Gebäuden, sortiert nach aufsteigender Nummer, werden bereit gelegt, so dass immer nur das oberste Gebäude zur Verfügung steht. Durch diese Anordnung gibt es zwar immer wieder eine andere, aber dennoch vernünftige und logische Reihenfolge.

RundenkarteEin Spielzug ist technisch genial einfach, aber nicht leicht. Zunächst wird die Spielfigur zyklisch auf das nächste Nachschubplättchen (sieben Stück gibt es, z.B. Korn/Fisch) gezogen, die Ressourcen in die entsprechenden Angebotsfelder gelegt, und dann noch eine Hauptaktion gemacht. Das kann das komplette Leerräumen eines Angebotsfelds sein oder das Verschieben des Personensteins in ein leer stehendes, bereits gebautes Gebäude (auch bei den Konkurrenten, wo dann gegebenenfalls eine kleine Miete zu zahlen ist). Und hier beginnt die Krux. Eigentlich müsste der Lehm genommen werden, um beim nächsten Mal das Backhaus bauen zu können, aber da liegen doch auch zwei so schöne Eisen. Oder man müsste dringend in den Schlachthof, um das Vieh zu Fleisch zu machen, aber der ist dummerweise besetzt. Wo also die Nahrung herbekommen? Doch die Fische nehmen? Warum überhaupt Nahrung?

Immer nach sieben solchen Spielerzügen ist eine Runde zu Ende und dann muss Nahrung abgegeben werden, von Runde zu Runde mehr. Dadurch ist Nahrung immer ein Thema. Zur Not kann sie durch Geld ersetzt werden. Und durch Schiffe, die Nahrung heranschaffen. Jede Rundenkarte wird, wenn sie abgearbeitet ist, umgedreht und zeigt dann ein Schiff. Zu Beginn kleine Holzschiffe, dann Eisen- bzw. Stahlschiffe. Schiffe sind 'dauerhafte' Nahrung und man kann mit ihnen gegen Ende der Partie Waren gegen entsprechendes Einkommen verschiffen. Also Nahrung links liegen lassen, sie zu Beginn mit Schuldscheinen finanzieren, sich auf Schiffe konzentrieren und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Prima Idee, könnte auch funktionieren, zumal man jede Runde nur einen Franc Zinsen zahlen muss, egal wie viele Schuldscheine man besitzt. Kann aber auch schrecklich schief gehen, denn der Geldwert (= Siegpunkte) eines Schiffes ist im Vergleich zu Gebäuden verschwindend gering und dann ist auch noch die Werft ständig blockiert.

Schlachthof Ich kann hier nur anreißen, was mit den Gebäuden und Ressourcen alles möglich sein könnte. Aber genau in diesen vielfältigen Möglichkeiten steckt der große Reiz von Le Havre. Sie bedingen allerdings eine außergewöhnlich lange Spieldauer. Drei Stunden für eine Dreierpartie muss man schon einplanen. Da das nicht jedermanns Sache ist (aber von Uwe Rosenberg bewusst so gewollt), gibt es auch zu jeder Spieleranzahl eine Kurzspielversion (dann zwei Stunden zu dritt). Zu zweit ist das Spiel genauso reizvoll wie zu viert. Laut Spielregel wird eine Partie zu fünft nur erfahrenen Spielern empfohlen. Das hat auch seine Berechtigung. In vielen Runden kommt man nur einmal(!) dran und die benötigten Gebäude sind oft blockiert. Also Härte pur. Die Soloversion ist nicht eine, bei der gegen das Spiel selbst oder eine gewisse Punktzahl gespielt wird. Man versucht nur, seine eigene (Rekord)Punktzahl zu schlagen oder die der Kumpel bzw. der Internetgemeinde. Es scheint da allerdings eine unschlagbare Marktplatz-Strategie zu geben, wo ist dann die Herausforderung?

Da mich eine etwas längere Spieldauer nicht abschreckt (wenn es nicht langweilig ist), werde ich Le Havre immer wieder gerne aus dem Schrank holen. Nie hatte ich das Gefühl gespielt, aber immer das gefordert zu werden. Wie mir wird es nur einem kleinen Teil der Spielergemeinde gehen, aber die werden bestens bedient. Alle Elemente des Spiels sind fein aufeinander abgestimmt und ausgewogen. Dadurch sind vielfältige Vorgehensweisen möglich, genau das, was ein gutes, nein sehr gutes Spiel braucht. Die Regeln sind klar strukturiert und liefern übersichtlich alle notwendigen Informationen. Zu dieser Qualität haben sicherlich auch die vielen Testrunden mit über 250 Testspielern beigetragen. Über grafische Mängel bei den Karten (zu kleine Rohstoffsymbole) lässt sich dann leicht hinwegsehen. Ich werde auf jeden Fall Le Havre fünf Punkte bei der Wahl zum Deutschen Spielepreis geben. (mw)

Steckbrief
Le Havre
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Uwe Rosenberg Lookout Spiele 1 - 5 Spieler ab 12 Jahre 45 - 210 Minuten Klemens Franz