Häufig gehören Spielbretter, die die Welt abbilden, zu dem Typus von Spielen, bei denen es um Erobern, "Befrieden" und Kämpfen geht, Hauen und Stechen eben. Man denke nur an "Risiko" unter vielen anderen. Nimmt man nun eine fantastische Welt sowie eine bunte Vielzahl von "Rassen", deren Herkunft aus Fantasy und Mythologie offensichtlich ist, und stellt den Spielern die Aufgabe, möglichst viele Gebiete einzunehmen und zu kontrollieren, erhält man als Ergebnis: "Small World".
Dass das Spielsystem bereits in Philippe Keyaerts Zivilisationsspiel "Vinci" (Descartes 1999) mit historischem Setting vorgelegen hat, sei aus Chronistenpflicht nicht verschwiegen. Die radikale redaktionelle Neugestaltung und die deutliche regeltechnische Straffung durch Days Of Wonder allerdings erlauben, "Small World" als eigenständiges neues Spiel zu betrachten.
Die Spieler übernehmen aus einer ersten Auswahl eine von sechs Fantasy-"Rassen", denen zufällig bestimmte Sonderfähigkeiten zugeordnet sind, und erhalten die durch die Rassenbanner und Fähigkeitsplakette genau spezifizierte Anzahl von sog. Rassenplättchen, mit denen sie vom Spielfeldrand aus Gebiete in Besitz nehmen. Dabei helfen ihnen u. U. ihre speziellen Fertigkeiten und die Grundeigenschaften ihrer "Rassen". Zur Wahl stehen so finstere Gesellen wie die in großer Zahl vorhandenen Rattenmenschen, die besonders verteidigungsstarken Trolle oder die angriffslustigen Orks. Wer es nicht ganz so finster mag, kann zu den Zwergen, Zauberern oder Elben greifen. Man achte jedoch auf die zugeordnete Spezialfähigkeit: Es ist ein Unterschied, ob die Trolle auch noch besonders "wehrhaft" sind oder bloß den "Wald" bevorzugen. Rattenmenschen, die das "Kommando" übernommen haben, können dahingegen die kleine Welt schnell zu der allein ihrigen machen. Als "Händler" sorgen sie immerhin noch für das Doppelte an Siegpunkten… Diese Beispiele zeigen, dass "Small World" von der Kombinatorik der 14 "Rassen" und 20 Sonderfähigkeiten (es gibt also nicht weniger als 280 mögliche Verbindungen) lebt.
Bei seinem Spielzug hat der Spieler die Wahl zwischen Eroberung und Untergang seiner "Rasse". Sollte nämlich die einmal gewählte Spezies ihre größtmögliche Ausbreitung erlangt haben oder aus anderen Gründen nicht mehr so lukrativ erscheinen, kann man sie untergehen lassen (die Rassenplättchen werden zu diesem Zweck auf ihre graue Rückseite umgedreht) und beim nächsten Zug eine neue aus dem Angebot wählen. Andernfalls kann der Spieler seinen Einflussbereich auf dem Brett erweitern, um so die begehrten Siegmünzen zu erhalten. Sie sind Zahlungsmittel (beim Erwerb von "Rassen") und Siegpunkt in einem. Wer am Ende die meisten Siegmünzen gesammelt hat, gewinnt "Small World". Bei Gleichstand siegt derjenige, der am Ende die meisten Rassenplättchen auf dem Spielplan hat.
Bei "Small World" heißt es für den Neuling zunächst, einen Überblick über das unübersichtlich erscheinende Angebot von Fantasiewesen und Spezialfähigkeiten zu gewinnen. Für jede Spieleranzahl steht jeweils eine entsprechend dimensionierte Landkarte zur Verfügung, damit ist die für die Auseinandersetzung erforderliche Enge gewährleistet. Der Spielzug selbst nach der ersten Einsetzrunde ist alles andere als schwierig. Dort hat man sich mit seiner ersten "Rasse" bereits vom Rand her Gebiete einverleibt. Für jede Eroberung einer Region benötigt man in der Regel 2 eigene Rassenplättchen und 1 weiteres für eventuell vorhandene fremde Rassenmarker, Gebirge oder andere Verteidigungsvorrichtungen (Lager, Trollhöhlen oder Festung), die ebenfalls durch Plättchen symbolisiert werden (also gilt: 2 Rassenplättchen + jeweils 1 mehr pro im Feld liegenden Spielmarker müssen für Eroberungen eingesetzt werden). Zu Spielbeginn werden einzelne Regionen noch von einem bereits untergegangenen Stamm besetzt gehalten, die ein wenig Widerstand leisten. Schon bald sind dann allerdings auch aktive "Rassen" potentielle Gegner. Um diese anzugreifen, nimmt man zunächst alle seine Rassenplättchen bis auf eins pro eigener Region auf die Hand. Mit diesen Markern gilt es nun, i. d. R. angrenzende Gebiete zu erobern. Hat man für den letzten Eroberungsversuch nicht mehr genug Plättchen auf der Hand, kann man den sog. Verstärkungswürfel werfen, um zusätzliche Angriffspunkte zu erhalten. Mit ein wenig Glück kann so noch ein Gebiet übernommen werden. Der Gegner verliert höchstens eines seiner besiegten Plättchen und darf nach Abschluss des Spielzugs diese Marker beliebig auf seine verbliebenen Regionen verteilen. Der aktive Spieler wiederum mag seinerseits die noch vorhandenen Plättchen regruppieren.
Entscheidet sich der Spieler dafür, seine aktive "Rasse" untergehen zu lassen, entfernt er alle Plättchen bis auf eins pro Region und dreht dieses um. Außerdem gibt er die Spezialfähigkeitsplakette ab und dreht sein Rassenbanner auf die Seite "untergegangen". Die untergegangenen Rassenplättchen bleiben solange im Spiel, bis die Gegner sie entweder durch Eroberung wegräumen oder bis der Spieler erneut seine aktive Rasse untergehen lässt. Im zweiten Fall werden die zuerst untergegangenen Marker ersatzlos vom Spielbrett genommen.
Ob man nun erobert oder seine "Rasse" dem Untergang weiht - in beiden Fällen wird der Zug durch die Phase "Siegmünzen erhalten" abgeschlossen. Hier bekommt der aktive Spieler für jedes Gebiet, das seine aktive und ggf. seine untergegangene "Rasse" kontrolliert, je 1 Siegmünze, die zu dem verdeckt gehaltenen Vorrat gelegt wird. Je nach Sonderfertigkeit oder Rasseneigenschaft werden entsprechende Boni (z. B. erhalten Zauberer für jede "magische Region" einen Bonuspunkt, Zwerge für Minen usf.) hinzugerechnet.
"Small World" wartet mit einer Vielzahl von Möglichkeiten auf. Zunächst ist die Entscheidung für eine bestimmte "Rasse" und ihre Spezialfähigkeit gut zu durchdenken. Hier kann man für Kombinationen, die viele Plättchen versprechen, oder solche, die Bonuspunkte geben bzw. Erleichterungen für Eroberung und Verteidigung bieten, optieren. Im Spielverlauf sind dann die Aktionen der Mitspieler zu beobachten. Wer welche "Rasse" nimmt und in welchem Gebiet operiert, kann für den Entschluss, die aktive Spezies abzugeben oder bestimmte Regionen zu erobern, verantwortlich sein. Da das Angebot der "Rassen" durch Neuzugänge ständig wechselt, ermöglicht ein früher Zeitpunkt des Untergangs den effektiven Wechsel auf eine neue Art, ohne dass die Mitspieler die Wahl gefährden. Überhaupt steht jede Aktion unter der Maßgabe der Gewinnoptimierung: Wie bekomme ich in jeder Region das Maximum der möglichen Siegmünzen und wie kann ich dieses Maximum erhalten? Finde ich auf beide Fragen keine befriedigende Antwort mehr, ist der Zeitpunkt für eine neue "Rasse" gekommen. Doch Vorsicht: Diese steht erst in der nächsten Runde nach dem Untergang der aktiven Art zur Verfügung.
In dieser Rezension ist kein Raum, um die unterschiedlichen "Rassen" und die bunte Vielfalt der Spezialfertigkeiten vorzustellen. Ihre Grundeigenschaften umfassen u. a. Unverwundbarkeit (Elben), besondere Angriffsstärke (Amazonen), magische Fähigkeiten (Hexenmeister) oder Boni für den Besitz bestimmter Regionen (Menschen, Zauberer, Zwerge). Die Plaketten mit den Spezialfähigkeiten dienen u. a. der Verbesserung der Eroberung (z. B. kann ein "fliegender" Halbling jede beliebige Region erobern, nicht nur angrenzende), der Verteidigung oder der Erhöhung des Siegpunktkontos. Nicht nur für den neuen Kleinweltler kann diese Fülle verwirrend sein. Daher enthält das Spiel für jeden Spieler eine große Übersichtskarte, die allerdings das Nachschlagen in dem gut gestalteten Regelheft nicht immer ersetzen kann.
Mit "Small World" ist Days Of Wonder nach der "Zug um Zug"-Reihe wieder ein Volltreffer gelungen. Die Ausstattung ist wie immer bei diesem Verlag üppig. Die "Rassen" und Fähigkeiten sind grafisch liebe- und humorvoll gestaltet. Für übersichtliche Ordnung in der Schachtel ist gesorgt. Der Spielspaß bei "Small World" scheint zudem unendlich. Die Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten trägt hierzu maßgeblich bei. Sicherlich kristallisieren sich nach mehr als fünf Spielen Traumverbindungen von "Rassen" und Sonderfertigkeiten heraus, die man als versierter Bürger von Kleinwelt niemals den anderen überlassen möchte. Doch auch im Spielverlauf selbst ist durch die ständig wechselnden Aufteilungen und am Spiel beteiligten "Rassen" für anspruchsvolle Abwechslung gesorgt. Timing ist alles: Bei zunehmender Spielerfahrung bekommt man ein Händchen dafür, wann der beste Zeitpunkt für einen Untergang gekommen ist. Spieler, die sich davor scheuen, einmal Erbautes wieder dem Verfall anheimgeben zu müssen, scheinen die einzigen zu sein, die mit "Small World" nicht recht warm werden. Um den Sieg zu erringen, sollte man nämlich mindestens dreimal die "Rasse" wechseln, sonst sorgen die Mitspieler für einen umso schlimmeren Untergang der eigenen Spezies.
Dabei sei nicht verschwiegen, dass die sonst so überragende Grafik der Rassenplättchen im Untergangsstatus allzu sehr Grau in Grau erscheint und auch einzelne Regionen nicht immer auf den ersten Blick zu unterscheiden sind. Im Zwei-Personen-Spiel mag es dann und wann geschehen, dass der Startspieler in der ersten Runde eine so starke "Rasse"-Fähigkeit-Kombination wählt, dass sein Sieg nicht mehr verhindert werden kann. Doch ist dies leicht zu verhindern, wenn man zu zweit in der Auslage mögliche "Killer"-Verbindungen auswechselt. Mit einer Spielzeit von einer Stunde bei einer Idealbesetzung von drei bis vier Spielern ist "Small World" trotz dieser minimalen Einschränkung aus meiner Sicht ein unverzichtbares Kleinod.
P.S.: Wie der geneigte Leser bereits bemerkt hat, ist das Wort "Rasse" in dieser Rezension stets in Anführungszeichen gesetzt. Hierbei soll es sich hier um einen "Fachbegriff" im Fantasybereich handeln. Gleichzeitig ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Spiel, in dem es um das Gegeneinander von "Rassen", um Kampf und "Lebensraum"-Erweiterung geht, nicht nur in Deutschland einen bitteren Beigeschmack verursacht. Man mag darüber hinwegsehen, da "Small World" mithilfe der humorvollen Grafik und der Fantasy-Thematik sehr klar die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit zieht. Der Familientauglichkeit dieses Spiels, das laut Verlag ab 8 Jahren gespielt werden kann, ist es allerdings abträglich. (thb)
Steckbrief Smallworld |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Philippe Keyaerts | Days of Wonder | 2 - 5 Spieler | ab 8 Jahre | 40 - 80 Minuten | Miguel Coimbra |