Albion - so nannte man die britischen Inseln, bevor sie zur römischen Provinz "Britannia" wurden. Diesen Namen trägt auch das neue Spiel von Klaus-Jürgen Wrede. Es ist eine Weiterentwicklung des 2008 von Phalanx angekündigten, aber nie realisierten "Weites Land", das noch die Besiedlung des Wilden Westens zum Thema hatte.
Nun also besiedeln wir stattdessen als römische Besatzer Britannien, bauen Befestigungen, Kastelle und Siedlungen. Die dazu benötigten Rohstoffe - Holz, Fisch, Stein und Gold - trotzen wir dem Land ab. Statt mit Indianern haben wir uns mit den unberechenbaren Pikten aus dem Norden zu arrangieren. Ihnen halten wir unsere militärische Macht entgegen, um sicher zu sein, falls sich die ruppigen Gesellen doch nicht als friedfertig herausstellen sollten.
Albion ist ein Aufbau- und Optimierungsspiel. Ziel ist es, als Erster drei Siedlungen voll auszubauen. Eine dieser Siedlungen muss im Norden der Insel liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns vom Süden in den Norden vorarbeiten, damit wir die notwendigen Rohstoffe erhalten und mehr Bewegungsfreiheit erlangen. Siedler dringen in das Innere Albions ein, um auf den in verschiedene Sektoren aufgeteilten Spielplan neue Gebäude zu errichten (Befestigungen, Kastelle, Rohstoffbetriebe in unterschiedlich geformten Plättchen). Legionäre schützen neben den Befestigungen vor kriegerischen Pikten, können aber ihre Schutzfunktion nur in dem Feld, in dem sie gerade stehen, wahrnehmen. Zu Beginn sind die Spieler mit je einem Siedler, einem Kastell, einer Befestigung und zwei Rohstoffbetrieben (Holz, Fisch) ausgerüstet. Durch den Bau weiterer Kastelle erhalten sie zusätzliche Bewegungspunkte, die sie in ihrem Zug auf ihre Legionäre und Siedler, die sie durch den Ausbau der Siedlungen bekommen, aufteilen können.
In seinem Spielzug hat der Spieler nur zwei Optionen: entweder nimmt er Rohstoffe oder er bewegt seine Siedler und/oder Legionäre, um an den Zielorten neue Gebäude zu errichten. Die erste Aktionsmöglichkeit ist denkbar einfach: Man nimmt sich so viele Rohstoffe der jeweiligen Sorte, wie es die aktuelle Ausbaustufe (1-3) der eigenen Betriebe anzeigt. Die zweite Möglichkeit ist um einiges komplexer: Pro Feld darf ein Spieler nur eines seiner Bauwerke errichten. Der Preis eines Gebäudes bzw. sein Ausbau richtet sich nach der Ausbaustufe: Stufe I kostet einen beliebigen Rohstoff, Stufe II zwei beliebige Rohstoffe usf. Da man zu Anfang nur zwei Rohstoffbetriebe besitzt, ist es klar, dass man bald auch Stein und Gold benötigt - die kann man allerdings nur in der Mitte oder im Norden Albions produzieren.
Hinzu kommen ggf. die Bedrohung durch die Pikten und Tributzahlungen an die Mitspieler. Auf den dunkelgrünen Feldern befinden sich runde Piktenmarker, die vor Spielbeginn nach einem vorgegebenen Schlüssel verteilt wurden. Baut ein Spieler mit einem Siedler eine Ausbaustufe eines Gebäudes, dürfen zunächst die Konkurrenten, die in diesem Sektor bereits ein Gebäude höherer Stufe besitzen, einen Rohstoff von den zum Bau eingesetzten auswählen. Dann wird ein ggf. vorhandenes Piktenplättchen umgedreht - ist es blau, sind die Pikten für dieses Mal friedfertig, das Plättchen wird aus dem Spiel genommen. Bei roten Markern kommt es zu einem Überfall. Um sich gegen diesen verteidigen zu können, müssen die in diesem Feld vertretenen Mitspieler mithilfe ihrer Befestigungen und Legionäre mindestens genauso viele Verteidigungspunkte vorweisen können wie die Anzahl der Pikten (zu denen auch die aufgedruckten roten Pikten zählen). Falls dies nicht der Fall ist, kann das soeben bezahlte Gebäude nicht gebaut werden bzw. bereits vorhandene Gebäude müssen um eine Stufe zurückgebaut werden. Damit verbundene Boni (z. B. Bewegungsmarker bei Kastellen, zusätzliche Siedler/Legionäre) gehen damit verloren. Neben dem Tribut sorgen die Legionäre für ein wenig Interaktion. Sie dürfen bei ihren Bewegungen nämlich noch nicht umgedrehte Piktenplättchen transportieren, um ein Feld von der lästigen Gefahr zu befreien oder den Druck auf Mitspieler zu erhöhen. Allein auf den hellgrünen Feldern im Süden sowie auf den Rohstoffgebieten kann kein Tribut erhoben und kein Pikte platziert werden.
Albion ist optisch wahrlich kein schönes Spiel - schon die Gestaltung der Spielschachtel ist alles andere als ansprechend. Der Spielplan dagegen ist funktional und harmoniert mit dem reichhaltigen Material, die zu ordnen vor dem eigentlichen Spielbeginn allerdings eine gefühlte Ewigkeit dauert. Grobmotorikern bereitet es zudem Schwierigkeiten, die Rohstoffplättchen einzusammeln.
In unseren Spielrunden konnte Albion zunächst durch seine Geradlinigkeit punkten. In einem Jahrgang der strategischen "Worker-Placement"-Spiele empfanden viele den Mechanismus und die Abwesenheit einer Siegpunktleiste als willkommene Abwechslung. Der Wiederspielreiz war hoch. Was jedoch bei den ersten Partien als Vorteil erschien, entpuppte sich zunehmend als Malus. Albion gleicht nämlich jenen Computerspielen, die dann uninteressant werden, wenn man den letzten Level erreicht hat. Alles Weitere ist bloße Wiederholung des immer gleichen Schemas. Dieses Schema haben geübte Spieler schnell begriffen, wenn man einmal davon absieht, dass die ersten Partien wegen der vielen kleingedruckten Regeldetails noch nicht ganz fehlerfrei verlaufen werden.
Die Linearität des Spielprinzips ist mehr Fluch als Segen. Zwar können sich die Spieler grundsätzlich zwischen einer Verteidigungsstrategie und einer schnellen Ausbaustrategie entscheiden, doch die besten Aussichten auf den Sieg hat nur der, der beides gleichermaßen bewältigt. Letzten Endes werde alle erfahrenen Albion-Spieler mehr oder minder die gleichen Spielzüge absolvieren, da sie zu 99% folgende Faustregeln befolgen werden: 1. Baue die erste Siedlung auf einem ungefährdeten hellgrünen Feld im Süden (Hinzugewinn eines weiteren Siedlers), 2. Errichte zwei Kastelle in gerade Linie nordwärts (3-4 Felder über dem Startfeld) und baue beide bis zur dritten Stufe aus, da diese erlaubt, einen Siedler von diesem Feld aus seine Bewegung beginnen zu lassen. 3. Baue die Siedlungen zügig aus, da deren dritte Ausbaustufe eine kostenfreie Aufwertung eines beliebigen anderen Gebäudes (mit Ausnahme weiterer Siedlungen) beschert, am besten der Befestigungen und Rohstoffbetriebe. Dem Gelegenheitsspieler mag diese Eindeutigkeit entgegenkommen, doch ist zweifelhaft, ob er jemals die Hürde der detailreichen Regel nehmen wird.
Ein destruktiver Effekt der Pikten ist nach den ersten Partien - wenn überhaupt - nur noch im ersten Spieldrittel zu befürchten, in der letzten Phase haben die Mitspieler ihre Befestigungen zumeist so gut ausgebaut, dass niemand wertvolle Bewegungspunkte verschwenden möchte, um die wenigen noch nicht aktivierten Pikten von A nach B zu transportieren. Bei einem Dreier-Spiel ergibt sich so höchstens eine unbefriedigende Königsmacher-Situation. Dass es dazu kommt, liegt auch daran, dass zwei bis drei Durchgänge vor Spielende auch dem letzten klar geworden ist, wer Albion gewinnen wird. Rechnet man dann noch hinzu, dass vor allem die ersten Spielrunden von nahezu stereotypen Zugfolgen des Aufbaus und Rohstoffenehmens bestimmt sind, ergibt sich ein enttäuschendes Gesamtbild: Albion verspricht Interaktion und spannungsreiches Planen, kann diese Erwartungen aber kaum erfüllen. Falls keine Anfänger mit am Tisch sitzen, ist das Spiel eher ein Wettrennen, das mitunter durch Zufall (Aufdecken der Piktenplättchen) oder Fehler der Mitspieler entschieden wird.
Wer möchte, kann die statistisch beste Lösung der Aufgabe ausrechnen, die Albion den Spielern stellt. Da dazu aber kaum jemand die Lust haben wird und auch die grundlegende Einsicht in das eindimensionale Spielgeschehen für alle Zukunft genügt, verfliegt der anfängliche Spielreiz schnell. Für den Rezensenten bestand der Reiz der letzten fünf von insgesamt 11 Partien lediglich darin, in unterschiedlichen Spielkreisen mit unterschiedlicher Spielerzahl zu prüfen, ob seine Befürchtungen zutreffen. Sie treffen zu. Schade! (thb)
Steckbrief Albion |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Klaus-Jürgen Wrede | Amigo | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | ca. 75 Minuten | Dennis Lohausen |