Vor dem Hintergrund des strahlend blauen Himmels erkennen wir sie schon von weitem: Silhouetten der Achterbahn, der Schiffschaukel, des Kraken und zahlreicher Buden zeichnen sich ab. Schnellen Schrittes laufen wir darauf zu, immer deutlicher werden die Jauchz- und Jubelschreie der Besucher hörbar. Schließlich erreichen wir das Eingangsportal: "Coney Island" steht in blinkenden Lettern darüber. Wir schreiten hindurch, bereits diskutierend, welche der Attraktionen wir zuerst in Angriff nehmen: Die Wildwasserbahn? Die Geisterbahn? Oder doch erst mal den Auto-Scooter? Aber was ist das?! Die "Attraktionen" sind nur große Holztafeln...und die Parkgeräusche dudeln vom Band aus zwei Lautsprechern. Plötzlich stoppt die Beschallung und ein Mann mit Brille und Schirmmütze kommt auf uns zu, ein Mikrofon in der Hand. "Ihr wollt einen Freizeitpark?", fragt er. "Nun, den müsst ihr Euch schon selber bauen!". Och, Menno...!
Also gehen wir frisch ans Werk, ausgestattet mit einer Grundausrüstung von zwei Geld, einem Baustoff und fünf Siegpunkten. In unsere drei Bauwagen ziehen jeweils drei Schausteller, im obersten Wagen die mit nur einem aufgedruckten Siegpunkt, in den untersten die mit deren drei. Sie ins Spiel zu bringen, kostet weiße und rote Baustoffe in vorgegebener Zusammensetzung, je höher die Wertigkeit, desto mehr. Schauen wir uns hierzu den Ort des Geschehens an, die Coney-Island-Baustelle also. Sie besteht aus 24 Feldern, die von uns nach und nach mit Bauplatztafeln belegt werden. Das Legen dieser Tafeln ist eine von drei verschiedenen Hauptaktionen, welche ich jede Runde jeweils einmal ausführen darf. Die Bauplätze in Anspruch zu nehmen kostet ein oder zwei Geld, die teureren bringen mir beim Überbauen Einmalvorteile wie Geld, Baustoffe oder Siegpunkte ein. Die Baufeldtafeln selbst wiederum haben jeweils vier Felder, von denen bei manchen Platten alle, bei anderen auch nur drei oder zwei bebaubar sind, weil auf den anderen Laternen, Ruhebänke oder Toilettenhäuschen stehen. Unsere Schausteller werden nun, als weitere mögliche Hauptaktion, gegen Bezahlung von Baustoffen auf ein Feld der gebauten Tafeln gelegt, wo sie hoffentlich nicht auf der faulen Haut liegen, sondern an der Errichtung von spektakulären Attraktionen werkeln. Diese gibt es in verschiedenen Längen von ein bis vier Feldern. Sie zu bauen ist die dritte mögliche Hauptaktion. Es kostet Baustoffe - wiederum in vorgegebener Zusammensetzung - und erfordert der Länge entsprechend viele nebeneinanderliegende Schaustellerplättchen, wobei es egal ist, ob es sich um eigene oder gegnerische handelt. Bei einigen ist auch eine Mindest- oder Höchstzahl an beteiligten Spielerfarben vorgegeben. Der Erbauer der Attraktion erhält die aufgedruckten Siegpunkte und jeder, dessen Schaustellerplättchen überbaut wurde, die darauf angegebenen ein bis drei Siegpunkte und sein Schaustellerplättchen zurück - was sehr ärgerlich sein kann. Warum? Nun, ich ließ bisher unerwähnt, dass ins Spiel gebrachte Schausteller mein Grundeinkommen steigern. Vor die Aktionsphase hat der liebe G...äääh, Autor nämlich die Einkommensphase gestellt. In dieser erhalten wir für jedes leere Feld unserer Bauwagen die dort aufgedruckten Siegpunkte, Geld oder Baustoffe, jeder zurückkehrende Schausteller deckt aber wieder ein Feld im entsprechenden Wagen ab, was die Rohstoffversorgung verknappt. Und an alle, die sich jetzt schon ausmalen, wie sie zunächst Geld und Baustoffe bunkern würden, bevor sie ihre Plättchen ins Spiel brächten geht die Nachricht, dass das erlaubte Vermögen streng auf fünf Geld und ebenso viele Baustoffe limitiert ist. Ach ja, und am Spielende zählt jedes nicht nach Hause geholte eigene Schaustellerplättchen zwei Minuspunkte...blindes Auf-den-Plan-bringen ist also auch nicht erfolgsversprechend.
Kommen wir nun noch zu den fünf Nebenaktionen oder, genauer gesagt, zu den fünf hilfreichen Charakteren des Spiels. Jede dieser Personen können wir mit zwei Geld bestechen, damit sie "in unser Team" kommt. Solange sie dort ist können wir einmal pro Runde ihre hilfreiche Eigenschaft nutzen, im Beispiel vom Reporter gegen Abgabe eines Baustoffes eine Zeitung (sprich: eine Werbeanzeige für unseren entstehenden Park) kaufen. Diese werden von einem verdeckten Stapel gezogen und sind am Spielende einen bis drei Siegpunkte Wert. Die anderen Personen beschaffen uns für Siegpunkte Baustoffe, für Geld Siegpunkte oder Baustoffe oder erlauben den Tausch eines vorhandenen Baustoffs. Die fünf Charaktere können einem jedoch von den Mitspielern in deren Zug stets wieder abgejagt werden, ohne dass man selbst Geld dafür erhält (schließlich wird ja die Person bestochen und nicht der abgebende Mitspieler). Dies und die damit verbundenen launigen Kommentare wie "der Wanderarbeiter geht mal wieder wandern" oder "der Wa.phpeister hat echt Wichtigeres zu tun, als bei DIR nach dem Rechten zu sehen" bringt die größte Würze ins Spiel. Ansonsten haben wir es hier mit einem spielerisch reizvollen taktischen Bau- und Legespiel zu tun, welches durchaus hohe Aufmerksamkeit erfordert. Es ist wichtig, einen Plan zu haben und den Rhythmus des Spiels zu erkennen. Keine Entscheidung ist belanglos: Wo Spiele ich meine Schaustellerplättchen ein? Überbaue ich die Plättchen meiner Mitspieler und nehme in Kauf, dass sie selbst Punkte bekommen - dafür wird ja ihr Einkommen beschnitten. Und das Wichtigste: Wann hole ich meine Schaustellerplättchen nach Hause? Tue ich dies zu früh oder zu einem ungünstigen Zeitpunkt, bricht meine Versorgung zusammen und ich muss sie mir mühevoll wieder aufbauen. Tue ich dies zu spät, verzichte ich nicht nur auf die Siegpunkte der Plättchen, sondern kassiere auch noch Minuspunkte.
Man merkt Coney Island die große Erfahrung des Autors an. Trotzdem will der Funke leider nicht so recht überspringen. Warum? Nun, technisch gesehen gibt es, wie beschrieben, nichts zu meckern. Die Umsetzung jedoch verschenkt viel Potenzial, sorgt sie doch dafür, dass das Thema nicht zur Entfaltung kommt und das Spiel seinen Kern des abstrakten Legespiels nie verdecken kann. Dies zeigt sich zunächst einmal bei den schlichtweg unbenannt gebliebenen roten und weißen Baustoffen, die so natürlich zu "Voraussetzung A" und "Voraussetzung B" mit dem "Ergebnis C" degradiert werden. Dann wären da noch die sehr klein geratenen Attraktionsplättchen. Diese verbreiten wegen ihrer Größe schon keinen Flair und liegen zudem noch, der Bauinformationen wegen, mit der Bildseite nach unten im Angebot aus. Dies führt dazu, dass ich noch nie einen Mitspieler "Ich baue jetzt die Achterbahn" sagen gehört habe, sondern immer nur "Ich baue jetzt das Vierer-Plättchen". Selbst am Spielende kommt kein Freizeitpark-Feeling auf, da für die 24 Baufelder nur zwölf Tafeln vorhanden sind, bei welchen wiederum im Höchstfall nur 24 der 48 Felder von Attraktionen belegt werden (nein, die Toilettenhäuschen zählen NICHT als Attraktion!").
Im Klartext: Höchstens ein Viertel(!) unserer Baustelle ist am Spielende wirklich ein Freizeitpark. Wie soll Atmosphäre aufkommen, wenn - umgekehrt gesehen - 75 % des Spiels am Ende noch Brachland sind?! Und dann die Attraktionen selbst: Es muss ja nicht immer Menzel sein, aber diese Attraktionen wirken vollkommen leblos. Keine Menschenseele tummelt sich darauf oder darum, die Achterbahn steht in Ruheposition, Wege von Attraktion zu Attraktion gibt es auch nicht, aber die stehen ohnehin, wenn man von der Hintergrundfarbe ausgeht, auf dem nackten Acker, welchen wir bebaut haben. Vielleicht wollte man hier "beim Thema bleiben", denn wir bauen den Park ja erst auf - ich persönlich hätte für ein bisschen mehr Flair aber gerne auf diese Spitzfindigkeit verzichtet. So aber hinterlässt Coney Island nur einen soliden, aber auch etwas biederen Gesamteindruck. Übrigens: Michael Schacht und der Argentum Verlag sehen es mir hoffentlich nach, aber ich habe mich in der Einleitung ein wenig über die Diskrepanz zwischen dem Cover, welches einen Freizeitpark in vollem Gange zeigt, und dem eigentlichen Spiel lustig gemacht. Der Fairness halber muss aber erwähnt werden, dass der Rückentext in seiner Ausführlichkeit keine Fragen über das enthaltene Spiel offen lässt und somit als vorbildlich bezeichnet werden kann. Wenn sie jetzt bei den kommenden Spielen noch an der Gestaltung feilen... (fd)
Steckbrief Coney Island |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Michael Schacht | Argentum | 2 - 4 Spieler | ab 10 Jahre | 30 - 60 Minuten | Dennis Lohausen |