Ein "Gruezi!" aus der Schwyz, aus dem Jahre 1814. Hier erklingen die Kuhglocken, hier riecht es nach Ziege und frischem Fleisch und frischem Käse. Und auch ansonsten ist die Schweiz hier völlig sauber. Es gibt keine unehelichen Kinder, keine Homosexualität, keine Bigamie und erst recht keinen Inzest. Ja, und Arbeitslose stellen wir auf dem Dorfplatz aus, damit ein jeder sie sieht. Sollen sie doch lieber einen ehrbaren Schweizer Bürger aus dem Nachbardorf heiraten.
Doch schauen wir unser Dorf an. Es besteht aus einen Dorfplatz oder der Dorfmitte wie manche sagen. Um diese Mitte stehen drei Gebäude, mit denen wir grundlegende Produkte erzeugen, z. B: Stein oder Getreide oder Erz. Unser Steinmetz ist genau wie unsere Bäuerin noch ledig. Nur unser Minenarbeiter ist verheiratet mit einer Frau aus dem Nachbardorf rechts von uns. Und unser Jungvolk? Einer geht noch in die Schule, einer sind in die anderen beiden benachbarten Dörfer verheiratet und einer lümmelt sich untätig auf dem Dorfplatz herum.
Wir, das sind alle kleinen Schweizer Dörfer, wollen uns weiterentwickeln. Beginnen darf natürlich der, der die Schweizer Flagge trägt. Helfen werden uns fünf Persönlichkeiten aus unserer näheren Umgebung: Der Baumeister, der Fuhrmann, der Nachtwächter, der Pfarrer und zuletzt die Gute Hebamme. Doch die wollen auch alle bezahlt werden. Schauen wir doch einmal, was sie für uns tun können.
Sicherlich möchten wir unser Dorf ein wenig vergrößern. Dazu benötigen wir neue Gebäude, die meist andere Produktionsmöglichkeiten bieten. Diese verschafft uns der Baumeister, der dazu ein ganzes Repertoire an schönen Gebäuden aufweist. Die Materialien für einen Bau produzieren wir meist selber. Sollte uns jedoch etwas fehlen, so hilft er uns mit Ziegel, Holz und Stein aus - gegen Extrabezahlung natürlich. Bei den Produktionsgebäuden benötigen wir jemanden, der es betreibt. Sollte sich also noch ein Arbeitsloser auf unserem Marktplatz befinden, bekommt er nun eine Anstellung. Einige der Gebäude sind aber Prestigegebäude. Sie benötigen niemanden, der dort arbeitet. Sie geben dem Dorf Prestige und das wird schließlich benötigt um im Vergleich mit den anderen Dörfern vorn zu liegen.
Wie aber wird denn nun produziert? Erst einmal benötigen wir einen Arbeiter - und der muss wach sein. Auch hier in der Schweiz verdient niemand sein Geld im Schlaf. Einfache Materialien kann so ein Arbeiter direkt herstellen. Nach der Produktion aber wird er müde und legt sich schlafen. Hochwertige Produkte benötigen neben der Arbeitskraft auch ein Material. So muss eine Kuh mit Getreide gefüttert werden. Also muss erst der Getreidebauer ein Getreide ernten, damit der Kuhhirte die Kuh füttern kann. Und weil die Produktionskette noch einen Schritt weiter geht, kann dann der Fleischer kommen und die Kuh schlachten.
Die Produkte können wir zum Markt bringen. Dafür engagieren wir den Fuhrmann. Auf dem Markt verkaufen wir die Produkte. Es mag ungewöhnlich für uns Schweizer klingen, aber es wird nicht mit Geld gezahlt, sondern mit Prestige vergütet. Hochwertige Produkte bringen zusätzliches Prestige, wenn man sie als erstes liefert und richtig viel Prestige bekommt derjenige, der sich spezialisiert hat, also viele Produkte aus Getreide, Wasser oder Erz zum Markt hat bringen lassen.
Sagte ich vorhin, dass die Arbeiter müde werden? Die Nächte sind oft kurz, obwohl unser Nachtwächter ein wenig gebrechlich ist. Er schafft es leider nicht mehr, das ganze Dorf zu wecken, sondern nur ein Viertel. Manchmal machen ihm aber ein paar zusätzliche Münzen Beine.
Lassen wir die Nacht und das Aufstehen und wenden uns den fröhlichen Dingen des Lebens zu. Der große Höhepunkt, die größte Feier ist die Hochzeit. Der Dorfpfarrer wird das Paar trauen - und wie eingangs erzählt, müssen beide ledig, aus verschiedenen Dörfern und gegengeschlechtlich sein. Doch nicht immer zieht die Braut zu ihrem frisch Angetrauten. Ja, auch schon Anno 1814 entscheidet der Arbeitsplatz über den Wohnort und so zieht so manches Mal der Bräutigam an die Arbeitsstätte seiner Frau. Dabei sollte ich noch sagen, dass der Ehepartner ganz schnell das Handwerk auch lernt und es dann ebenso geschickt ausübt.
Und was gehört zu einer guten Ehe? Kinder! Die bringt die Hebamme sicher auf der Welt. Aber bitte immer nur ein Kind pro Paar, niemals Zwillinge. Wenn ein Paar sich mehrere Kinder wünscht, dann bitte schön nacheinander.
Bei uns läuft die Zeit ein wenig anders, zumindest messen wir sie nicht in Jahren. Wenn fast alle Dörfer ihre Aktivitäten abgeschlossen haben, nehmen wir uns die Zeit und betrachten das Geschehene. Das Dorf, das seine Aktivitäten nicht abgeschlossen hat, bekommt dafür die Nationalflagge und darf in der nächsten Zeitspanne als erstes aktiv werden Außerdem gibt jede Persönlichkeit dem Dorf, das am meisten an sie gezahlt hat, einen Coupon. Mit ihm gibt es in der nächsten Zeitspanne eine Handlung gratis. Und Kinder, wie die Zeit vergeht! Die Kinder aus der Schule haben ausgelernt und kommen ins Dorf zurück, und die Neugeborenen werden bereits eingeschult.
War da nicht noch etwas von einem Wettbewerb zwischen den Dörfern? Ja, und deshalb zählen wir jetzt das Prestige: Wir wissen bereits, dass Prestigegebäude und Lieferungen zum Markt Prestige bringen. Doch auch die Nationalflagge und die Coupons geben etwas Prestige. Sobald ein Dorf genügend Prestige besitzt, endet der Wettbewerb und das Dorf mit dem meisten Prestige wird zum Sieger gekürt.
Wir sind es, die Spieler, die den Dörfern vorstehen. Wir entscheiden, was gebaut und geliefert wird. Und ja, wir entscheiden sogar darüber, wer hier wen heiratet. Die Zeitreise in die Schweiz des 19. Jahrhunderts bringt einige Regeln mit sich. Die Hochzeiten in andere Dörfer, den Wettbewerbe um schnelle Lieferungen zum Markt und um die Coupons der Persönlichkeiten bewirken eine hohe Interaktion. So fordert das Spiel viel Aufmerksamkeit von den Spielern.
Durch die tolle Geschichte und die eingängigen Handlungen der Persönlichkeiten lässt es sich sehr gut aus dem Bauch herausspielen. Es ist daher für Familien ebenso geeignet wie für Strategen, denn für diese bietet es vielfältigen Taktiken.
Das ganze lebt mit dem Umfeld. Ich habe Spielerrunde erlebt, bei denen der Spaß nicht nur im Spielen lag, sondern durch begleitende Kommentare. Diese können beim Kinderkriegen durchaus mal anzüglich ausfallen. Doch auch der Nachtwächter, der den Dorfbewohnern das Morgenrot nahe bringt, reizt für vielfältige Kommentare.
Die Aktionen des Spiels sind eben nicht (nur) Aktionen, sondern Handlungen aus unserem Leben. Das Spiel ist dadurch lebhaft, greifbar und doch ist das Szenario so gewählt, dass es uns für rund anderthalb Stunden hinaus aus der Realität in eine abenteuerliche Spielwelt entführt. (wd)
Steckbrief Helvetia |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Matthias Cramer | Kosmos | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | 60 - 90 Minuten | Franz Vohwinkel, Imelda Vohwinkel |