Der Kleinstverlag Spielworxx hat sich den Vielspieler-Spielen und dabei ganz besonders historischen Simulationen verschrieben, deren Spielzeit jenseits der Zwei-Stunden-Marke liegt. Mit Ruhrschifffahrt hat der Verlag nun ein Spiel herausgebracht, das zwar Wirtschaftsgeschichte simuliert, sich dabei aber vom Design her stark an "herkömmliche" Strategiespiele anlehnt, die mehr von der Mechanik als der Thematik getragen werden. Zu fragen ist nun, ob diese Kreuzung der Genres die erwartete Anziehungskraft entfaltet.
In Ruhrschifffahrt spielen wir die Entwicklung des Kohletransports auf der Ruhr von 1769 bis 1890 nach. Wir steuern unsere Schiffe flussabwärts von den sog. Kohleniederlagen zu den weiterverarbeitenden Industriestandorten, den Städten oder zum Hafen Ruhrort, von wo aus das mit Würfeln repräsentierte Schwarze Gold ins Rheinland, in die Niederlande oder nach Belgien exportiert wird. Durch den Transport erwerben wir Entwicklungspunkte, um Fortschritte freizuschalten, und Taler, die wir in siegpunktträchtige Ausbauten investieren: Schleusen, Kohlelager oder Lagerhäuser in den Städten. Historische Ereignisse wie etwa die Einführung der Ruhrschifffahrtskasse beeinflussen ebenso unseren Aktionsspielraum wie die zu Beginn der zwölf Runden jeweils gezogenen Nachfrage- oder Hindernismarker. Zunächst wählen die Spieler jeweils reihum ihren Startort an einer der Kohlenablagen. Wer am weitesten flussaufwärts steht, beginnt und liefert seine Kohle an einen Zielort (Stadt, Kleinindustrie, Hafen Ruhrort), der wiederum über die Position in der folgenden Runde entscheidet. Mithilfe von Sonderoptionen können Startplatz, Transport oder Verkauf der Kohlewürfel manipuliert werden. So ermöglicht z. B. die Lotsenoption ein Ziehen über die üblichen zwei Felder hinaus bis hin zum Ruhrort. Zu Spielbeginn ist die Ruhr ein kaum gebändigter Fluss. Deshalb müssen wir Hindernisse überwinden, die die Qualität der Ladung (Augenzahl der Würfel) mindern, und Schleusen bauen. Außerdem beschränken Hoch- oder Niedrigwasser häufig unsere Möglichkeiten, bis zum Ruhrort zu gelangen, weil dann die Lotsenoption nicht zur Verfügung steht. Möchte man vom Hafen Ruhrort oder von einem anderen Feld wieder flussaufwärts gehen, muss man eine der kostenpflichtigen Treidel-Sonderoptionen wählen. Unter "Treideln" versteht man das stromaufwärts gerichtete Ziehen von Schiffen durch Pferde oder Zugmaschinen.
Nach der zwölften Runde werden schließlich noch einmal Siegpunkte vergeben, z. B. dafür, dass man in allen Städten bestimmter Gebieten mit Lagerhäusern vertreten ist oder Mehrheiten von Kohlenlagern an bestimmten Orten besitzt. Für nicht zurückgezahlte Schulden muss man dahingegen Punkte abziehen. Es ist hier nicht möglich, sämtliche Feinheiten des Regelwerks darzustellen, etwa den komplexen Aufbau, die Vergabe von Exportsiegpunkten oder die Art und Weise, wie Kohlewürfel wieder ins Spiel kommen bzw. wie die Nachfrage durch Aufwertung einzelner Orte gesteuert wird. Obwohl es aufgrund der eher unglücklich aufgebauten Regel zum Erlernen des Spiels einiges an Geduld bedarf, ist der grundlegende Mechanismus eingängig und nach der ersten Partie schnell verinnerlicht.
Die strategische Planung in Ruhrschifffahrt konzentriert sich auf zwei Bereiche: die eigene Entwicklung und das Einsetzen der Schiffe. Auf den Tableaus der einzelnen Spieler finden sich alle erhältlichen Fortschritte und die Bedingungen ihres Erhalts vorgedruckt. Erlangt ein Spieler nun einen Fortschritt, indem er durch den Kohletransport Entwicklungssteine auf gewisse Bereiche legen konnte, nimmt er sich den dazugehörigen Fortschrittsmarker und kann fortan dessen Vorteil nutzen (z. B. die Möglichkeit, die weiter flussaufwärts liegende Grafschaft Mark zu befahren). Es gibt zweierlei Art von Fortschritten: Die einen stehen allen Spielern (sie sind zumeist braun gefärbt), die anderen stehen nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung. Diese attraktiven weißen Fortschrittsmarker bringen u. a. am Spielende zusätzliche Siegpunkte (z. B. bringt der "Bürgermeister" pro Taler einen Siegpunkt, falls man schuldenfrei ist), sind aber erst dann erhältlich, wenn man Kohle nach Ruhrort und an Orte der Grafschaft Mark transportiert hat.
Eng mit diesem Bereich verbunden ist das Einsetzen des eigenen Schiffes. Hier ist es nicht nur wichtig, an Plätzen mit wertvollen Kohlewürfeln zu stehen, sondern auch die eigene Fahrt über die aktuelle Runde hinaus im Auge zu behalten: Wohin soll ich fahren, um aktuell wichtige Entwicklungssteine zu erhalten? Komme ich rechtzeitig an, um anderen den letzten Fortschritt wegnehmen zu können? Wie wird die Spielerreihenfolge sein nach dieser Runde? Kann ich es mir leisten, nach Ruhrort zu fahren, auch wenn ich dann in der nächsten Runde für viel Geld treideln muss?
Das Design von Ruhrschifffahrt kann sich nicht ganz zwischen historischer Simulation und Spielmechanismus entscheiden, sodass eine abschließende Bewertung ebenfalls zwiespältig ausfällt. Dass nicht nur historische Aspekte eine Rolle spielen, wird deutlich an der Tatsache, dass in der Grafschaft Mark bereits früh der Schleusenbau möglich ist, auch wenn dort noch kein Schiff Kohle transportieren kann. Historisch ist dagegen die spielentscheidende Bedeutung des Ruhrorts begründet, doch führt es vor allem in der ersten Hälfte des Spiels zu recht schematischen Abläufen, weil der Aufbau des eigenen Fortschritts durch die Gegebenheiten zu einem hohen Grad vorprogrammiert ist. Vor allem Neulinge fühlten sich aus diesem Grund in dieser Phase häufig gespielt, und auch für erfahrene Ruhrschiffer gilt, dass es erst in der zweiten Hälfte, wenn es um die begrenzten weißen Fortschrittsmarker und um lukrative Lagerhäuser geht, wirklich spannend wird. Es bedarf einiger Partien, bis auch für den ersten Abschnitt kleinere Spielräume erkennbar werden, wenn sich die Mitspieler z. B. auf den Schleusenbau konzentrieren und man selbst stattdessen zielstrebig daran arbeitet, die Grafschaft Mark freizuschalten oder als erster ein Lagerhaus im Hafen zu platzieren. Der historischen Treue ist auch das zufällige Ziehen von Nachfrage- und Wasserstandsmarker geschuldet. Dies kann eher negative Folgen für das Spielgefühl haben. In der Grundversion sind nämlich recht viele Hoch- und Niedrigwasserplättchen enthalten, die einen Transport in den Hafen Ruhrort verhindern. Doch ist dies das Nadelöhr, durch das jeder Spieler hindurch muss, will er Lagerhäuser erbauen, die Grafschaft Mark befahren oder die lukrativen weißen Fortschrittsplättchen erwerben. So kann es geschehen, dass einzelne Mitspieler durch dieses Zufallselement das Nachsehen haben und abgehängt werden. Um hier Schieflagen zu vermeiden, seien die in den Internet-FAQ empfohlenen Spielvarianten (u. a. Reduzierung der Wasserstandsplättchen) nachdrücklich ans Herz gelegt. Hier erhält man auch Übersichten über die Stadtwappen, die auf dem Spielbrett nicht immer eindeutig zu unterscheiden sind.
Als große Pluspunkte sind die atmosphärische und schöne Gestaltung sowie der filigrane Einsetzmechanismus zu verbuchen. Doch nicht jedem Spielertyp gefallen diese sich erst langsam entwickelnden Optionen, sodass bei grundsätzlichem Interesse an dem Spiel eine oder gar mehrere Testpartien (am besten zu dritt oder viert) angeraten sind. Die durchaus vorhandenen Möglichkeiten erschließen sich nämlich nur demjenigen, der nach ersten Spielrunden dran bleibt, denn in meinen Testrunden hat sich gezeigt, dass sich nach erster Begeisterung schnell Ernüchterung einstellte, die erst bei weiteren Partien einer vorsichtigen Wertschätzung wich.
Mit Ruhrschifffahrt liegt das erste Spiel einer geplanten Kohle-Trilogie von Thomas Spitzer vor, das ich nur mit Einschränkungen gelungen nennen möchte. Durch das üppige Material und das individuelle Fortschrittstableau gaukelt es ein wenig mehr vor, als es letztlich bietet. Unter dem Strich ist es ein passables Warenlieferspiel, das entscheidend durch das Einsetzen des eigenen Schiffes auf der Ruhr bestimmt wird. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die weiteren Kohle-Spiele das Verhältnis von Mechanismus und historischer Treue noch besser austarieren. (thb)
Steckbrief Ruhrschifffahrt 1769 - 1890 |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Thomas Spitzer | Spielworxx | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | ca. 120 Minuten | Harald Lieske |