BrüggeBrügge

Ich bin in den Metropolen und historischen Städten der Welt zuhause! Zumindest könnte man dies meinen, wenn man meine Spielesammlung betrachtet. Da laden Spiele zu einem Besuch einer Vielzahl von bedeutenden Orten von Florenz über London bis Tokyo ein. In nur wenigen dieser Städte war ich bereits persönlich, doch üben sie alle ihren Reiz aus, weil sie eine interessante Geschichte haben oder einfach schön sind, z. B. wenn das Stadtbild heute noch an ihre mittelalterliche Blüte erinnert. So ist das auch mit dem belgischen Brügge, dessen mittelalterlicher, in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommener Stadtkern die Vorlage zum neuen Spiel von Stefan Feld bei Hans im Glück liefert.

Spielplan

Als Kaufleute versuchen wir in Brügge Einfluss und Macht zu gewinnen. Motor des Spiels sind 165 Karten, die allesamt verschieden sind und von Michael Menzel aufwändig individuell gestaltet wurden. Wie ein Schweizer Messer sind sie multifunktional: die Rückseite zeigt ein Haus in einer der fünf Kartenfarben, die Vorderseite eine Person sowie am Rand Aktionssymbole.

Ein Haus in BrüggeZu Beginn einer Runde ziehen die Spieler reihum Karten, bis sie fünf auf ihrer Hand haben. Dabei können sie entscheiden, von welchem der beiden ausliegenden Kartenstapel sie nehmen möchten. Der Startspieler ermittelt sodann mit den fünf farbigen Würfeln, welche Bedrohungen sich für sie ergeben. Würfelt er mit einem Würfel eine Fünf oder Sechs, erhalten alle Spieler Bedrohungsmarker dieser Farbe. Waren sie risikofreudig und haben sie zu diesem Zeitpunkt insgesamt drei Marker einer Farbe, tritt für sie die Bedrohung ein. Das kann u. a. der Verlust eines Gebäudes, einer Person oder des gesamten Bargeldes zur Folge haben. Würfel mit einem oder zwei Augen bestimmen den Preis für den Aufstieg im Rathaus. Hier können die Kontrahenten gegen Zahlung der Summe eine siegpunktträchtige Stufe aufsteigen.

Der König von BrüggeNach diesem Vorgeplänkel richtet sich das Augenmerk nun voll auf die Karten. Reihum spielen die Spieler viermal je eine Karte aus und wählen eine von sechs Aktionen. Je nach ausgespielter Kartenfarbe kann man z. B. einen Bedrohungsmarker derselben Farbe abgeben und dafür einen Siegpunkt einstreichen. Oder man nimmt sich so viele Gulden, wie es der entsprechende Würfel anzeigt. Man kann aber auch an den zwei Kanalabschnitten bauen, die sich in dem Viertel eines jeden Spielers auf dem Spielbrett befinden. Dazu muss die Kartenfarbe für den Abschnitt passen, außerdem kosten Kanäle 1 bis 5 Gulden. Weitere Aktionsmöglichkeiten sind der Hausbau, Handlanger erhalten oder Person ausspielen. Für den Hausbau legt man eine Karte mit ihrer Rückseite auf den Tisch und gibt dafür einen Handlanger der entsprechenden Farbe ab. Von diesen erhält man zu Beginn bereits jeweils einen pro Farbe. Im weiteren Verlauf kann man zwei Handlanger in der Farbe der ausgespielten Farbe rekrutieren. Personen benötigen zur Unterbringung ein Haus einer beliebigen Farbe und kosten beim Ausspielen 0-12 Gulden, bei Spielende erbringen sie Siegpunkte. Der großen Anzahl entsprechend sind die Personenfunktionen vielfältig. Allen gemein ist, dass sie einer von elf Personengruppen (z. B. Adel, Unterwelt) zugeordnet werden und dem Spieler Vorteile bieten, die einmalig, fortwährend oder wiederholt durch Aktivierung mithilfe von Handlangern erlangt werden. Personen erlauben u. a. das Nachziehen oder zusätzliche Ausspielen von Karten, bringen Geld oder generieren zusätzliche Siegpunkte. Sie können vor Bedrohungen schützen, den Mitspielern schaden oder in der Schlusswertung Boni bescheren. So bringt z. B. der König bei Spielende für jede adlige Person in der persönlichen Auslage zwei Siegpunkte.

BedrohungsmarkerHat jeder Spieler vier Karten ausgespielt, endet die Runde. Die übrig gebliebene Karte wird in den nächsten Durchgang mitgenommen, wo sie u. U. sinnvoller eingesetzt werden kann. Dann werden die Mehrheiten in drei Bereichen verglichen: Rathaus, Kanalbau und Personenauslage. Die jeweiligen Führenden können - falls nicht bereits geschehen - einen entsprechenden Mehrheitenmarker umdrehen. Er kann nicht verloren gehen und zählt am Ende vier Siegpunkte.

Das Spiel endet in der Runde, wenn einer der zwei Nachzugsstapel aufgebraucht wurde. Bei der Schlusswertung erhalten die Spieler Punkte für ihre Personen, Häuser, Kanäle, Rathausstufe und Mehrheiten. Bei Gleichstand der so ermittelten Punktezahl gewinnt, wer mehr Gulden besitzt.

Einwohner von Brügge in ihren Häusern

Brügge ist trotz seiner funktional vielfältigen Karten ein Spiel, das schnell erlernt und schnell gespielt werden kann. Dafür sorgen ein klarer Rundenablauf und eine intuitiv verständliche Kartensymbolik. Auch die Kartentexte sind weitgehend selbsterklärend, dennoch hat der Verlag ein Beiblatt mit näheren Erläuterungen beigefügt, das letzte Fragen ausräumt. Für die ersten Runden ist es auch gar nicht nötig, die Personenkarten vollständig zu kennen. Es macht gerade den Reiz aus, diese Schritt für Schritt kennenzulernen. Brügge besitzt also vor allem zu Beginn einen hohen Wiederspielreiz: Es gibt immer wieder Neues zu entdecken und auszuprobieren. Verschiedene Wege zum Sieg werden getestet, einmal wird bewusst auf Personen gesetzt, einmal der Kanalbau konsequent vorangetrieben, Vorteile verschiedener Personen werden möglichst aufeinander abgestimmt. Bald stellt sich heraus, dass man möglichst Karten in vielen unterschiedlichen Farben sammeln und auf das notwendige Einkommen achten sollte, damit man siegpunktträchtige Personen im Wert von 12 Gulden auslegen oder eine neue Stufe im Rathaus erklimmen kann. Für die Mehrheitswertung sind die Umtriebe der Mitspieler im Auge zu behalten, zumal wenn man mit einer Person der Unterwelt den Konkurrenten gezielt schaden möchte. Dabei wird Brügge jedoch nie destruktiv, da erlittene Verluste sowie Bedrohungen ausgeglichen oder manchmal gar zum eigenen Vorteil genutzt werden können.

Marktfrau in BrüggeFür dieses auf weiten Strecken lustvolle Ausprobieren nach dem Prinzip "Entdecke die Möglichkeiten" benötigt man sicherlich eine zweistellige Anzahl von Partien. Allein dies ist schon beachtlich angesichts der geringen Halbwertszeit mancher Spiele. Doch schon nach wenigen Partien deutet sich auch an, dass Brügge zumeist von dem gewonnen wird, dem neben dem eigenen Können auch das Glück gehörig auf die Sprünge hilft: Das fängt bei den Würfelergebnissen an, geht über die zu Verfügung stehenden Kartenfarben und endet bei den lukrativen Personen, die einem zufallen und die man sich leisten kann, während andere nur weniger attraktive Gefolgsleute auf der Hand haben. Vor allem der Kanalbau ist nur selten eine sichere Bank: Zu sehr ist man abhängig von dem Kartenangebot, und wenn man Pech hat, befinden sich die meisten Karten der benötigten Farbe in dem Stapel, der bei der Spielvorbereitung aussortiert wurde. Oft nur hilflos und frustriert zusehen können dahingegen die Mitspieler demjenigen, dem eine ideale Personenkombination gelingt. So sorgt z. B. der Astronom dauerhaft dafür, dass man Personen mit sofort auszuführendem Vorteil zweimal nutzen kann. Ist dies der Architekt, so kann man gleich vier Häuser umsonst bauen, um diese im Folgenden zügig mit weiteren Personen zu bestücken. Wegen der zufälligen Verteilung im Stapel stehen die mächtigen Personen für 12 Gulden nicht unbedingt jedem zur Verfügung stehen und falls doch, können sie nicht immer bezahlt werden. Das kann zu Schieflagen führen. Ein Beispiel ist der Graveur. Dieser bringt bei Spielende zwei Punkte für jede Personengruppe, die man besitzt (also kann man bis zu 22 Punkte erhalten). Wenn man den Graveur früh auf die Hand bekommt, die notwendigen Voraussetzungen schafft und ihn dann kurz vor Schluss ausspielt, darf man sicher sein, ganz oben in den Siegpunkträngen zu landen. Schält sich ein solcher Vorteil bereits früh heraus, sinkt der Spielspaß aller übrigen Beteiligten.

Schaden der BedrohungenWer Ausgewogenheit und hundertprozentige Planbarkeit sucht, wird daher mit Brügge nicht glücklich werden können. Ich selbst spiele Brügge gern in lockerer Runde mit Spielern, die keine falschen Erwartungen an das Spiel haben. Auch wegen der kurzen Spieldauer kann man eine Pechsträhne beim Kartenziehen gut wegstecken und gleich darauf Revanche fordern. Besonders bei spielbegeisterten und -erfahrenen Familien erkenne ich für das Spiel einiges Potential, da hier auch Kinder ab 9 Jahren durchaus vorne mitmischen können. Brügge besticht durch die Mammutleistung des Grafikers Menzel, in puncto Mechanismus ist es eine Wundertüte voller Überraschungen, die allerdings nicht ganz mit der tollen Optik mithalten kann. Unter dem Strich bleibt dennoch festzuhalten, dass wir mit Brügge ein gutes Spiel vor uns haben, das im Bereich zwischen Familien- und Vielspielerspiel angesiedelt ist. Im Vergleich zum fast zeitgleich erschienenen Spiel Rialto desselben Autors ist dies allerdings um den Preis kleinerer Unwuchten erkauft, die man in Kauf zu nehmen gewillt sein muss. (thb)

Steckbrief
Brügge
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Stefan Feld Hans im Glück 2 - 4 Spieler ab 10 Jahre ca. 60 Minuten Michael Menzel