Wien - was für eine Stadt! Wer sie einmal besucht hat, weiß von ihr zu schwärmen: Hofburg, Stephansdom, Schönbrunn, Sissi, "k.u.k."-Nostalgie, Wiener Moderne und die ganz eigene Welt der Kaffeehäuser mit Sachertorte, Melange und Strudel… In diese Welt entführen wollen uns Simone Luciani und Virginio Gigli im Lookout-Spiel Grand Austria Hotel. Die italienischen Autoren sind wahrlich keine Unbekannten mehr: Gigli war Teil des Projekts "Acchittocca", das uns Spiele wie "Leonardo da Vinci" (2006) oder "Egizia" (2009) bescherte, und Luciani ist Mitautor solcher Strategiespiele wie "Tzolk'in" (2012) und dem letztjährigen DSP-Gewinner "Auf den Spuren von Marco Polo". Kann das neue Spiel mit diesen Erfolgstiteln mithalten?
Im Kern haben wir mit Grand Austria Hotel einen Vertreter des Genres der sog. Würfeleinsetzspiele vor uns, das nicht erst seit Stefan Felds "Burgen von Burgund" (2011) oder eben auch "Marco Polo" Würfel auch im Strategiespielsektor etabliert hat. Am ehesten ist der zentrale Mechanismus mit dem von "La Granja" (2014) vergleichbar: Hier wie dort wählen die Spieler aus bei Rundenbeginn geworfenen Würfeln aus, um je nach Augenzahl bestimmte Aktionen spielen zu können. Doch anders als bei "La Granja" geht es in Grand Austria Hotel natürlich nicht um das Bewirtschaften eines Landguts, sondern um das Management eines Wiener Kaffeehauses mit angeschlossenem Grand Hotel. Innerhalb von sieben Runden gilt es, Kunden ins Kaffeehaus zu locken und ihre kulinarischen Wünsche zu erfüllen, damit sie sich satt und zufrieden im gleichen Haus zu Bett begeben. Solcherart verwöhnte Gäste bringen zumeist direkt Siegpunkte, häufig Sofortvorteile und schließlich ein volles Haus, das sich am Ende des Spiels auszahlt.
Wie läuft eine Runde ab? Die Spieler haben zwei Aktionen, von denen sie die erste reihum spielen, bis der letzte Spieler in der Reihenfolge gleich nach dem ersten seinen zweiten Würfel nimmt und entgegen dem Uhrzeigersinn die Runde beschlossen wird, sodass dem Startspieler die erste und die letzte Aktion eines Durchgangs zustehen. Auf dem Aktionsplan werden die Würfel ihrem Wert entsprechend ausgelegt. Zu Beginn seines Zugs kann ein Spieler zunächst einen Kunden (ggf. gegen Bezahlung) aus dem Angebot auf dem Spielplan aussuchen und in sein Kaffeehaus legen. Dann geht es ans Würfelwählen: Mit einer Eins oder Zwei kann man die kaffeehaustypischen Speisen (Kaffee, Wein, Torte und Strudel) produzieren, diese direkt einem im eigenen Kaffeehaus wartenden Kunden servieren oder in der Küche für zukünftige Gäste deponieren. Mit einer Drei lassen sich Zimmer im Hotel über dem Café vorbereiten, wobei die mit unterschiedlichen Farben markierten Gäste in der Regel Zimmer der gleichen Couleur bevorzugen. Darüber, wie viele Speisen man nehmen und wie viele Zimmer man bezugsfertig machen kann, entscheidet die Zahl gleichwertiger Würfel auf dem Aktionsplan: Liegen dort vor der Aktion z. B. noch drei Dreier, kann man bis zu drei Zimmerplättchen auf sein Tableau einsetzen. Ähnliches gilt auch für die anderen Aktionsmöglichkeiten. Personalkarten sind dabei häufig dienlich, sie erleichtern den Zugriff auf Speisen und verringern ggf. die Kosten für die Zimmer. Daneben können sie weitere Vorteile oder Siegpunkte für das Erfüllen bestimmter Bedingungen bei Spielende bringen. Um sie mit Fünfer-Würfeln von der Hand ausspielen zu können, bedarf es der finanziellen Ausstattung, die man mithilfe von Würfeln mit der Augenzahl Vier ausbauen kann. Alternativ ist hier ein Fortschreiten auf der Kaiserleiste auf der imposanten Hofburg, die den zentralen Spielplan bestimmt, möglich. Dreimal im Spiel wird eine sog. Kaiserwertung ausgelöst, nach Ausschüttung von Siegpunkten werden die Markiersteine der Spieler drei bis sieben Felder zurückgesetzt - je nach dann erhaltenem Standort winken weitere Belohnungen und Bestrafungen. Mit Sechser-Würfeln schließlich können die ersten fünf Aktionen ersatzweise gespielt werden.
Bei seinen beiden Würfeleinsätzen wird es ein Spieler selten belassen, weil ihm Zusatzaktionen zur Verfügung stehen: So kann er u. a. Kunden mit Speisen aus der Küche versorgen, Personalkarten nutzen und/oder "fertig bediente" Gäste in einem Zimmer unterbringen. Sollte er beim Letzteren das letzte Bett einer einzelnen Farbgruppe in seinem Hotel belegt haben, kann er als Prämie Geld, Sieg- oder Kaiserpunkte ergattern.
Grand Austria Hotel stellt sowohl taktische als auch strategische Anforderungen. Taktisch gefordert ist der Spieler durch Würfel- und Kartenauslage, um zu entscheiden, welche Aktion in der aktuellen Situation sinnvoll erscheint. Gäste und Zimmerverfügbarkeit müssen aufeinander abgestimmt sein, die Boni der eincheckenden Kunden führen eventuell weiter, indem sie z. B. das Nachziehen von Personal auf die Hand erlauben oder bitter benötigte Speisen bescheren. Das Zusammenspiel von Aktion und Zusatzaktionen erlaubt Kettenzüge. Sog. Politikkarten verlangen längerfristiges Planen: Sie belohnen für das Erreichen bestimmter Ziele (z. B. für das Belegen von Zimmern im Hotel oder für das Ausspielen einer spezifischen Anzahl von Personalkarten). Besonders lukrativ ist die frühzeitige Zielerfüllung, wer später kommt, muss hier Abstriche hinnehmen. Zu Spielbeginn werden diese Politikkarten wie die für die Kaiserwertung benötigten Plättchen zufällig ausgewählt, sodass sich von Partie zu Partie unterschiedliche Herausforderungen ergeben.
Fast uneingeschränkt überzeugen kann Grand Austria Hotel mit seiner grafischen Gestaltung. Die Illustrationen von Klemens Franz sind witzig, so verweisen einige Kundenkarten z. B. auf berühmte Personen wie Sissi, auf Spiele und ihre Autoren. Aktions- und Spielplan sind liebevoll gestaltet und sorgen für atmosphärische Immersion. Doch es gibt bei der Ausstattung Wermutstropfen, die die Spielbarkeit unnötig erschweren: Die bei 75 endende Siegpunktleiste zwingt beim Überschreiten zu umständlichem Verrechnen und die Geldanzeige auf dem Hotelplan ist kontraintuitiv und unübersichtlich angelegt, überhaupt hätte man sich für das haptische Erleben Spielgeld gewünscht. Die Vielzahl der Personalfunktionen und die nicht immer eindeutige Ikonografie erfordern darüber hinaus immer wieder die Konsultation der Spielregel, wobei die verschnörkelte Schrift auf den Karten nicht gerade hilfreich ist.
Von seinen Mechanismen her bietet das Spiel eine Kombination von hinlänglich bekannten Versatzstücken (Würfelauswahl und -einsatz, Ressourcenmanagement, Zielvorgaben usw.). Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Spiel überfrachtet worden ist, wenn man nur schaut, wofür es alles Punkte gibt und wo bestimmte Boni erzielt werden können. Das ist fast schon zu viel des Guten und einiges wirkt so gezwungen wie der Versuch, den Spieltitel ohne Stocken auszusprechen. Manche mechanischen Stellschrauben sind dabei offensichtlich allein deshalb integriert worden, um potenzielle Schieflagen auszugleichen (diesem Zweck dient z. B. die Möglichkeit, aus der Runde auszusteigen, dann einen Würfel auf den "Mistkübel" zu legen, um die übrigen erneut zu würfeln und damit eine eventuell bessere Auslage zu ergattern), anderes fügt sich nur halbherzig in das thematische Setting ein (etwa die Politikkarten). Ähnliches ließe sich von den Zusatzaktionen sagen, die je nach Situation einen einzelnen Spielzug erheblich in die Länge ziehen können. In Vollbesetzung übertrifft die Spieldauer daher selbst bei geübten Hoteliers die angegebenen 90 Minuten locker um 30 Minuten. Bis der Startspieler seine zweite Aktion spielen kann, können dann in grüblerischer Runde gut und gerne bis zu 15 Minuten vergehen, in denen man seinen Zug auch nur schwer planen kann, da Würfelauswahl und Kartenauslage der ständigen Veränderung unterworfen sind und der Zufall manchmal böse regiert, was umso ärgerlicher ist, wenn die wirklich starken Personalkarten beim Gegner liegen. Diese frustrierende Konstellation ist in Partien zu dritt ein wenig abgemildert, doch nur in der Konkurrenz von zwei Spielern pendeln sich Wartezeit und Planungsmöglichkeiten in ein günstiges Verhältnis ein. Angesichts der fehlenden spielerischen Originalität und der mit der Spielerzahl zunehmenden Unübersichtlichkeit kann ich daher Grand Austria Hotel nur als Zweierspiel wirklich empfehlen, vor einer Partie zu viert ist dagegen geradezu zu warnen. Damit bleibt es insgesamt doch hinter den erfolgreichen Referenzspielen seiner Autoren zurück. (thb)
Steckbrief Grand Austria Hotel |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Simone Luciani, Virginio Gigli | Lookout Spiele | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | ca. 90 Minuten | Klemens Franz |