Neben dem Tschechen Vlaada Chvátil (Im Wandel der Zeiten, Mage Knight) hat Ignacy Trzewiczek die Vielspielerszene der letzten Jahre gehörig mit frischem Ostwind durchgewirbelt. Als Autor des genialen Robinson Crusoe und als rühriger Chef des polnischen Verlags Portal Games ist er auf allen Kanälen des Internets präsent. Über Twitter, Instagram und YouTube lässt er die Spielerwelt Anteil haben an seinen Reisen zu Spielemessen rund um den Globus, er stellt sich über Video den Fragen der Spieler und betreibt einen beliebten Blog, von dem er einen Teil in der Zwischenzeit als Buch über Kickstarter vertrieben hat. Das kommt vor allem in den USA gut an: Dort ist das vorliegende Spiel Imperial Settlers in seiner englischen Version bereits vor Monaten euphorisch aufgenommen worden, was in den sozialen Netzwerken einige Wellen geschlagen hat. Von "fantastic" oder "awesome" (was so viel wie "hammermäßig" heißt) ist dort häufig die Rede, allerdings ist bekannt, dass der sympathische amerikanische Enthusiasmus noch keine verlässliche Aussage über die Qualität eines Spiels darstellt. Grund genug, sich nun anhand der deutschen Ausgabe selbst ein Bild zu machen!
Imperial Settlers ist im Kern ein Kartenspiel, in dem ein bis vier Spieler über fünf Runden hinweg die Zivilisation eines Volks (Römer, Barbaren, Ägypter oder Japaner) durch Auslegen von Karten ausbauen, um dadurch am Ende wenn möglich mehr Siegpunkte als die Konkurrenten gesammelt zu haben. Zu diesem Zweck stehen den Spielern zwei Sorten von Karten zur Verfügung: Auf die allgemeinen Karten haben alle Spieler Zugriff, während jedes Volk dazu noch ein eigenes Deck zur Verfügung hat, dessen Karten nicht nur mehr Siegpunkte einbringen, sondern in der Regel auch den eigenen Handlungsspielraum in attraktiver Weise erweitern. Die Karten dienen entweder der Warenproduktion, stellen dauerhafte Fähigkeiten zur Verfügung oder können als Aktionsorte durch Einsetzen von Arbeitern und Rohstoffen aktiviert werden.
Die Spieler starten mit je zwei allgemeinen und zwei Völkerkarten sowie einem Grundeinkommen, das sich von Volk zu Volk unterscheidet. Dazu haben die Fraktionen unterschiedliche Lagermöglichkeiten für bestimmte Waren. Unter "Waren" subsumieren die Regeln u. a. die Karten, Rohstoffe (Holz, Stein und Nahrung), Gold (das auch als Joker für Rohstoffe genutzt werden kann), die Arbeiter oder Siegpunkte.
Jede Runde besitzt den gleichen Ablauf. Zunächst kommen neue Karten ins Spiel (für jeden Spieler eine vom eigenen Völkerstapel, zwei vom allgemeinen Vorrat) und die Völker produzieren ihre Waren nach Maßgabe ihrer Produktionsorte, Handlungsabkommen und des Grundeinkommens auf der jeweiligen Völkertafel. Dann führen die Spieler reihum jeweils eine Aktion aus, bis alle gepasst haben. In der anschließenden Aufräumphase müssen bis auf die lagerungsfähigen Waren alle eingesetzten oder übrig gebliebenen Arbeiter, Rohstoffe und Plättchen in den Vorrat zurückgegeben werden, damit eine neue Runde beginnen kann.
Die Aktionsphase ist ohne Zweifel die wichtigste einer Runde, die Karten sind der Motor des eigenen Fortschritts. Um sie als Orte zu bauen, d. h., sie in die eigene Auslage ausspielen zu können, bedarf es Rohstoffe und ggf. anderer, bereits ausliegender Orte, die man dazu abwerfen muss. Die Kosten sind auf den Karten jeweils verzeichnet. Für die bessere Übersicht ist vorgegeben, wohin man die Karten legt: Produktionsorte haben ihren Platz in der ersten Reihe neben dem Völkertableau, Fähigkeiten darunter und Aktionsorte in der untersten Reihe. Eigene Völkerkarten sind links abzulegen, rechts liegen allgemeine Karten.
Kann oder will man Karten nicht als Orte bauen, bieten sich andere Aktionsmöglichkeiten als Alternativen an. So ist es möglich, eigene Völkerkarten gegen Zahlung von einer Nahrung als Handelsabkommen unter das eigene Tableau zu legen, das die angegebene Ware einmalig sofort und dann in den folgenden Ertragsphasen beschert. Einen schnellen Weg, um benötigte Waren zu erlangen, stellt die Möglichkeit "Zerstören" dar. Mithilfe von Zerstörungsplättchen in Form von rot umrandeten Schwertern kann man nämlich eigene allgemeine Karten auf der Hand oder bereits ausliegenden allgemeine Orte der Mitspieler zerstören, um die aufgedruckten Zerstörungsprämien einzustreichen. Das kostet ein Plättchen für eine eigene Karte und zwei für eine Karte eines Mitspielers. Sollte sich dieser mit seinem Verteidigungsplättchen vor Angriffen geschützt haben, muss noch ein weiteres Zerstörungsplättchen abgegeben werden. Macht man einen Ort des Gegners dem Erdboden gleich, wird die Karte umgedreht: Der betroffene Spieler erhält ein Holz als Kompensation, die Überreste können als Fundament für einen neuen Ort dienen.
Eine weitere Möglichkeit bieten die sog. Aktionsorte. Sie können zumeist einmal durch Abgabe der geforderten Arbeiter und/oder Rohstoffe aktiviert werden, um z. B. andere Rohstoffe und Siegpunkte zu erhalten oder Einfluss auf das Spiel der Gegner auszuüben (z. B. einem Mitspieler einen Rohstoff zu stehlen).
Die letzte Zugmöglichkeit ist unabhängig von den Karten und auf jedem Völkertableau bereits vorgegeben: der Tausch. Für zwei Arbeiter kann man einen beliebigen Rohstoff bekommen oder eine Karte (egal, ob allgemeine oder Völkerkarte) nachziehen, diese Aktion ist während des Zugs beliebig oft ausführbar, sofern man die notwendigen Arbeiter abgeben kann.
Nach fünf Runden erfolgt schließlich die Endabrechnung, bei der man für allgemeine Orte einen Siegpunkt und für Völkerorte zwei Siegpunkte erhält. Der Spieler des japanischen Volkes kann zusätzlich noch für Funktionen bestimmter Karten Siegpunkte erhalten.
Imperial Settlers ist ein Spiel, dessen Möglichkeiten gründlich erkundet werden wollen. Das liegt zum einen an der stattlichen Anzahl unterschiedlicher Karten, die allein das allgemeine Deck bereit hält. Das liegt aber vor allem an den Völkerdecks, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte besitzen. Während z. B. die Barbaren viele Orte haben, die mit Holz erbaut werden, und - ganz thematisch - großes Zerstörungspotential an den Tag legen, sind die Römer stark auf Stein als Baumaterial angewiesen und generieren Siegpunkte über den Bau von zivilisatorisch wichtigen Orten. Die Japaner wiederum müssen mit Rohstoffarmut kämpfen und bieten den Mitspielern mehr Angriffsfläche: ihre Völkerkarten können von den anderen zerstört werden. Dafür hat der Japan-Spieler die Möglichkeit, seine Orte mit zu Samurai umgewidmeten Arbeitern zu verteidigen und ggf. dafür am Ende des Spiels zusätzliche Siegpunkte abzugreifen. Die Ägypter wiederum gelangen leichter an Gold und haben u. a. Orte, die erlauben, einen Aktionsort erneut zu aktivieren.
Für Anfänger empfiehlt die Regel zu Recht die etwas einfacher zu spielenden Fraktionen der Römer und Barbaren. Die anstandslos funktionierende Solovariante erlaubt das Kennenlernen und Austesten der weiteren, durch Wechselwirkungen etwas komplizierteren Ägypter und Japaner. Während bei den ersten Partien die Spieler vornehmlich auf ihren eigenen Bereich achten, wird die interaktive Komponente bei erfahrenen Kontrahenten etwas wichtiger, etwa beim Kartennehmen oder mithilfe der Möglichkeiten, Orte in der gegnerischen Auslage zu zerstören. Zusätzlich bieten Völkerkarten vor allem der Ägypter und Japaner weitere Möglichkeiten, Einfluss auf die Karten der Mitspielern zu nehmen. Die destruktive Komponente dominiert allerdings nicht, da man sich zum einen mit dem Verteidigungsplättchen ein wenig vor Zerstörungen wappnen kann und sich zum anderen durch taktisch günstiges Passen vor jeglichem gegnerischen Übergriff schützen kann. Wenn es dann doch zum Verlust von Orten kommt, wird er durch das dadurch gewonnene Fundament häufig mehr als kompensiert. Sollte einem diese Art von Interaktion nicht liegen, kann man zu der in der Spielregel beschriebenen friedlichen Variante greifen.
Für ein erfolgreiches Spiel sind zwei Dinge wichtig: der Aufbau von für das jeweiligen Volk sinnvollen Produktionsorten und Siegpunktgeneratoren sowie der Nachschub mit neuen Karten. Der Ortsaufbau erfolgt über die einfachen allgemeinen Orte hin zu den lukrativeren Völkerorten. Die Funktion der ersten ist zunächst die schnelle Beschaffung von Vorteilen, doch über kurz oder lang finden sie ihre Bestimmung als ‚Bezahlung' für Völkerkarten, die andere Orte als Fundament benötigen. Der Bau von Produktionsorten eröffnet stets neue Perspektiven, da diese Orte beim Bauen bereits einmal ihren Ertrag ausschütten und u. U. sogar einen weiteren einmaligen Ertrag in Form einer Bauprämie bescheren. Besonders hinzuweisen ist in diesem Kontext auf das hervorragende Farbleitsystem auf den Karten, deren Randleisten schnell darüber informieren, mit welchen Rohstoffen bzw. Waren sie in Zusammenhang stehen.
Vor allem in den ersten beiden Runden spielt das Zerstören eigener Handkarten und das Auslegen von Handelsabkommen eine Rolle, um noch vor dem Bau von effektiven Produktionsorten an notwendige Rohstoffe zu gelangen. Doch ist es grundsätzlich besser, Orte der Gegner zu zerstören, damit man viele eigene Karten auslegen kann, anstatt sie zu opfern. Ziel sollte sein, einen Großteil seiner Völkerkarten ins Spiel zu bringen. Dazu ist es wiederum wichtig, für Nachschub an Arbeitern zu sorgen, die ihrerseits gegen Karten eingetauscht werden.
Imperial Settlers ist für die meisten Teilnehmer meiner Testgruppen unangefochtenes spielerisches Highlight des Spätsommers 2015. Zwar waren die ersten Partien in Vollbesetzung aufgrund der Neuheit und Vielfalt der Optionen etwas langwierig und warteintensiv, doch mit zunehmender Erfahrung konnten auch in Spielen zu viert die auf der Schachtel angegebenen 90 Minuten eingehalten werden. Für die ersten Schritte empfehle ich jedoch, die Herausforderung erst einmal zu zweit anzunehmen, bevor man sich an Partien mit vielleicht erfahreneren Gegnern wagt. Auch dann ist trotz gewisser interaktiver Anteile ein vorherrschender Solitär-Charakter von Imperial Settlers nicht von der Hand zu weisen (sog. "multi-player solitaire"). Das muss man mögen.
Ein kleines Manko sind zudem die verschiedenen Voraussetzungen und sich z. T. erheblich unterscheidenden Kartendecks der Völker. Vor allem das japanische Deck ist z. B. nicht so leicht zu bewältigen wie das der Barbaren. Stärkeren Spielern darf man die Barbaren deswegen keinesfalls überlassen. Möchte man einen Neuling an das Spiel heranführen, tut man gut daran, diesem dieses Volk an die Hand zu geben. Außerdem sollte man sich den Kartenstapel seiner Fraktion zunächst in Ruhe anschauen. Auch nicht unerwähnt darf bleiben, dass das Glück beim Kartenziehen nicht zu unterschätzen ist, selbst wenn man einen Weg gefunden hat, zügiger an mehr Karten zu kommen. In meinen fast 20 Testpartien hat sich herausgestellt, dass vor allem die Barbaren und die Ägypter schnell eine beeindruckende Siegpunktmaschine aufbauen und viele Völkerkarten in die Auslage bringen können, die bei Spielende ja jeweils zwei Siegpunkte wert sind. Die Römer dagegen stellen zwar keine besonderen Anforderungen und besitzen keine Sonderregeln, doch ist der Sieg mit ihnen schwieriger zu bewerkstelligen. Für mich war es deshalb die Aufgabe der letzten Testpartien, festzustellen, ob man mit den Römern gewinnen kann. Keine Sorge, man kann es. Die in der Regel vorgeschlagenen alternativen Verfahren bei der Kartenverteilung allerdings können das Glücksmoment nicht wesentlich reduzieren und sind daher Geschmackssache. Wer z. B. als Ägypter erst spät die starken Produktionsorte seines Decks auf die Hand bekommt, kann beim Ringen um den Sieg zumeist nicht mehr mitreden.
Dies alles sind Anzeichen, dass Imperial Settlers auf Erweiterungen angelegt ist. Die ersten englischen Ergänzungen sind bereits veröffentlicht, ein erstes kleines deutsches Supplement hat Pegasus Spiele für die "Spiel" in Essen angekündigt. Zu diesem Zweck sind in der Regel bereits Vorgaben für die Konstruktion von individuellen Kartendecks enthalten. Es bleibt also spannend, zu schauen, wie sich das putzig gestaltete Imperial Settlers weiterentwickeln wird. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man von einem fesselnden Spiel sprechen, das vielleicht nicht "awesome" (s.o.), dafür aber sicherlich "very good" ist, weil durch das Auftreten immer neuer Möglichkeiten ein grundsätzlich positives Spielgefühl vermittelt wird und es einfach viel Spaß macht, die Voraussetzungen und Möglichkeiten eines Volkes zu ergründen und dann möglichst effektiv in Siegpunkte umzumünzen. (thb)
Steckbrief Imperial Settlers |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Ignacy Trzewiczek | Pegasus | 1 - 4 Spieler | ab 10 Jahre | 45 - 90 Minuten | Tomasz Jedruszek, Jaroslaw Marcinek, Mateusz Bielski, Rafal Szyma |