Das Erste, was ich über Anno 1800 hörte, war die Aussage, es sei das Brettspiel zum PC-Spiel. Weil ich kein PC-Spieler bin, war es mir nicht bekannt. Alles, was ich hier schreibe, beruht auf Erfahrungen mit dem Brettspiel.
Jeder Spieler startet mit der gleichen Ausgangslage seiner Stadt: Fünf landwirtschaftliche und fünf Handwerksbetriebe, einer Werft, zwei Handels- und einem Entdeckerschiff. Als Schaffende besitzen wir vier Bauern, drei Arbeiter und zwei Handwerker. Ingenieure und Investoren sind zu Beginn noch unbekannt. Außerdem gibt es in meiner Stadt Personen, die jede ihre Bedürfnisse hat und wenn ich diese befriedige, erbringen sie einmalig eine Gegenleistung.
Das Grundprinzip ist die Produktion. Für eine Bäckerei benötige ich Getreide (symbolisiert das Mehl und weitere Zutaten) und Kohle (steht für Erhitzung, also das Backen). Um eine Bäckerei zu errichten, schicke ich einen Bauern auf das Getreidefeld und einen Handwerker in die Köhlerei. Die Produkte existieren nicht materiell, sondern müssen direkt verwendet werden. Ich baue also umgehend die Bäckerei, die nun Platz für zwei Arbeiter bietet, die Brot herstellen. Hier zeige ich die Stufen, die für ein sehr hochwertiges Produkt, den Pelzmantel, notwendig sind.
Jedes Produkt kann auf vier Arten verwendet werden. Es stillt das Bedürfnis einer Person, es wird für die Errichtung einer neuen Produktionsstätte genutzt, es zieht neuer Schaffende an beziehungswiese qualifiziert sie für höhere Aufgaben oder es ermöglicht Handel beziehungsweise Entdeckung.
Für Handel und Entdeckung werden Schiffe benötigt. Je nach Größe und Typ bringt ein Schiff ein bis drei Handels- oder Entdeckermarken. Für Handelsmarken kann ich bei einem Mitspieler produzieren lassen. Die benötigte Anzahl hängt davon ab, wer das Produkt herstellt. Der Besitzer der Fabrik kann die Produktion nicht verweigern und wird mit Geld entlohnt. Handel ermöglicht mir somit an Produkte zu kommen, die ich selbst nicht herstellen kann. Entdeckungen bringen mir weiteres Land. In der alten Welt sind dies sechs Bauplatze sowie eine Zugabe. In der neuen Welt bekomme ich drei exotische Güter wie Baumwolle, Kaffee, Zuckerrohr oder Tabak. Der Preis eines neuen Landes erhöht sich mit der Anzahl der Ländereien.
Hier unterbreche ich einmal kurz, denn irgendwann hat ein Spieler den Zustand, dass sich die Schaffenden in den Fabriken befinden und die Handels- und Entdeckermarken verwendet wurden. Ich kann sie mit einem Stadtfest wieder reaktivieren, doch wenn alle feiern, erreiche ich keinen Fortschritt in meiner Stadt. Einzelne Schaffende lassen sich auch durch Gold motivieren, ein weiteres Mal zur Arbeit zu gehen.
Apropos Bevölkerung. Neue Schaffende sind gern gesehen und auch Weiterbildung ist wichtig. Durch Produktion von bestimmten Gütern erhalte ich neue Schaffende. Während Bauern schon mit einem Holz zufrieden sind, benötigt der Investor viele Produkte, darunter mit Fenster und Pelzmantel zwei, die einige Entwicklungsstufen aufweisen. Weiterbildung ist weniger anspruchsvoll als neue Schaffende zu bekommen, zum Beispiel braucht ein Ingenieur nur einen Pelzmantel und einen zusätzlichen Handwerker, um zum Investor zu werden. Das vorhin erwähnte Fenster entfällt, weil der Ingenieur bereits das Fenster gefordert hat.
Für jeden Schaffenden bekommen wir eine Karte mit einer ganz bestimmen Person. Diese hat Bedürfnisse, zum Beispiel Seife, Bier, Brot, Konservenfleisch oder Arbeitskleidung. Höhergestellte Persönlichkeiten möchten gern eine Brille, ein Fahrzeug, ein Grammophon oder ein exotisches Nahrungsmittel wie Schokolade oder Kaffee. Erfüllen wir das Bedürfnis, helfen sie uns einmalig auf vielfältige Weise und geben uns Siegpunkte.
Das Spielende wird eingeläutet, wenn ein Spieler keine Karten mehr besitzt. Nach einer Abschlussrunde werden die Punkte gezählt. Diese erhalten wir auch noch für Besucher in Zoos und Museen. Sie werden durch Tiere und Artefakte symbolisiert, die ich für Entdeckungsmarken bekomme. Außerdem kommen die Aufträge, die zu Beginn des Spiels ausgelegt wurden, zur Wertung.
Anno 1800 ist ein großes Entwicklungsspiel mit vielfältigen Möglichkeiten. Grundlage ist die Produktion, die einfachen Regeln folgt. Weil alle Fabriken gleich funktionieren, ist der Einstieg gemessen an der Komplexität einfach. Die Vielfalt entsteht aus der Menge an Produkten. Weil auch die Produktionsketten logisch aufgebaut sind, zum Beispiel besteht ein Fenster aus Holz und Glas, genügt ein Spiel, um die wichtigen Entwicklungen gezielt angehen zu können.
Viele komplexe Spiele verzichten auf eine Beziehung zwischen den Spielern oder miniminieren sie als Konkurrenz um „Irgendetwas auf dem Spielplan“. Das ist hier anders: Weil ich die Produktionsstätten meiner Mitspieler nutzen kann, sind die Auslagen der anderen Spieler von großem Interesse. Der Vorteil einer eigenen Fabrik ist dabei relativ: Ich bekomme das Produkt durch Schaffende und auch mehrfach in einem Zug, andere Spieler müssen die selteneren Handelsmarken nehmen, um das Produkt einmal zu bekommen.
Für Abwechslung sorgen die Personenkarten und die Aufträge. Weil die Personenkarten verdeckt gezogen werden, muss ich mich nach den Bedürfnissen richten, die die Person gerade aufweist. Zu Beginn ist dies auch kein Problem, weil ich genügend Karten zur Auswahl habe.
Es gibt 20 verschiedene Aufträge, 15 geben am Ende Siegpunkte, fünf ermöglichen spezielle Aktionen. Mal wird die Herstellung bestimmter Produkte belohnt, mal die Erforschung der neuen Welt, mal die Mehrheit in einer bestimmten Bevölkerungsschicht. Einige Aufträge erschweren den Spielern das Leben: So fordert ein Auftrag, nur eine alte Welt zu entdecken und belohnt dies mit reichlich Punkten. Da wird der Platz knapp. Die Aktionen hingegen schaffen Möglichkeiten, die nur in einigen Spielen verfügbar sind. Auch hier muss ein Spieler sich auf die Gegebenheiten einstellen.
Anno 1800 liegt mit seiner Spieldauer deutlich über dem, was wir üblicherweise spielen. Die Vielfalt als Herausforderung und die konstruktive Entwicklung als Grundlage des Spielgefühls lassen uns dieses Spiel immer wieder auf den Tisch bringen. Ob es eine gelungene Adaption des PC-Spiels ist, kann ich nicht beurteilen. Als Brettspiel ist Kosmos damit ein ganz großer Wurf gelungen. (wd)
Steckbrief Anno 1800 |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Martin Wallace | Kosmos | 2 - 4 Spieler | ab 12 Jahre | ca. 120 Minuten | Fiore GmbH |