"Welcome aboard Flight LH 760 to Delhi." Da sitze ich nun mit ein paar Freunden im Flieger und werde in gut siebeneinhalb Stunden in Indien landen. Überwiegend werden wir als Rucksacktouristen das Land erkunden, unterbrochen von ein paar Flügen, um die großen Strecken dieses weiten Landes zu überbrücken.
Weil diese Reise spielerisch geschieht, begeben wir uns auf eine Karte von Indien. Ganz oben links ist noch unser Startflughafen eingeblendet und genau dort befinden wir uns nicht nur zu Beginn unserer Geschichte, sondern auch im Spiel. Nun geht der Flug nicht notwendigerweise nach Delhi, sondern kann uns auch nach Kalkutta, Mumbai oder Chennai bringen. Dies bestimmt der Startspieler.
Bevor wir unsere Reise fortsetzen, erkläre ich erst mal, was uns in Indien erwartet. In jeder Stadt liegt ein Plättchen. Dieses zeigt ein oder zwei von zehn Symbolen, die das historische oder aktuelle Indien repräsentieren. Jedem Symbol ist gleichzeitig eine Farbe zugeordnet, und es obliegt dem Spieler, ob er sich mehr an den Symbolen oder an der Farbe orientieren möchte. Die Plättchen werden zufällig verteilt, wobei die Flughäfen zunächst einen Stapel aus Plättchen mit zwei Symbolen bekommen (=> Plättchenhäufigkeit).
Zurück zu unserer Reise. Nachdem wir gelandet sind, geht unsere Reise als Rucksacktourist weiter. Die Städte sind für diese Unternehmung mit Linien verbunden und ausgehend vom aktuellen Standort begebe ich mich in eine Nachbarstadt. Wird auf diesem Wege wieder einer der Flughäfen erreicht, darf ein weiterer Flug erfolgen, bevor es wieder als Rucksacktourist weiter geht.
Wenn ich Stadt erreiche, bekomme ich das Plättchen das dort liegt. Ich nehme es und lege es auf mein Kolam. Ein Kolam ist ein aus Linien und Punkten bestehendes religiöses Symbol, das Frauen vor die Haustür zeichnen, weil es Glück bringen soll. Im Spiel ist ein solches Kolam auf jedem persönlichen Ablagetableau eines Spielers abgebildet. Seine 19 bzw. 22 Punkte sind so verbunden, dass von jedem Punkt drei oder vier Linien abgehen.
Das erste Plättchen, das ich erhalte, wird außerhalb des Kolams auf ein spezielles Feld, das Tauschfeld, gelegt. Weitere Plättchen kann ich direkt verwenden oder aber vorher tauschen. Bei mir ist das Tauschen kostenlos. Tausche ich jedoch mein aktuelles Plättchen gegen das auf dem Tauschfeld eines anderen Spielers, so muss ich ihm dies mit einem Siegpunkt bezahlen. Danach lege ich das Plättchen auf mein Kolam. Für das erste Plättchen habe ich die freie Wahl, auf welchen Punkt ich es lege. Jedes weitere muss auf einen Punkt, der mit einem bereits belegten Punkt verbunden ist, abgelegt werden.
Ziel des Ganzen ist es große Gruppen gleichfarbiger Symbole zu bilden. Dafür gibt es am Ende des Spiels - es tritt ein, wenn alle Kolams voll belegt sind - Siegpunkte.
Das Spiel heißt "Discover India" - entdecke Indien. Der bisherige Spielverlauf aus Reisen, Plättchen nehmen, eventuell tauschen und ablegen bringt uns die Geografie Indiens näher. So konnte ich die zu Anfang dieser Rezension genannten Städte nicht nur einfach benennen, sondern habe auch eine klare Vorstellung davon, wo sie innerhalb Indiens liegen. Damit wir nun noch tiefer in die Begebenheiten Indiens einsteigen, gibt es die Festivals. Ein solches Festival findet in jeder der fünf Regionen statt, genauer in einer der Städte jeder Region, statt. In der Grundversion erhält der Spieler, erreicht er eine solche Stadt, eine Karte. Sie ist spieltechnisch einen Siegpunkt wert. Dazu hat sie einen Informationswert: Sie zeigt ein Bild von einer indischen Stadt und gibt dazu eine kurze Information, auf der Vorderseite in Deutsch und auf der Rückseite dieselbe in Englisch.
In einer weiteren Version, genannt Challenge (zu Deutsch: Herausforderung), werden die Karten nach Regionen sortiert. Die Festivals finden dann immer in den Ort statt, die auf den obersten Karten eines jeden Stapels abgebildet sind. Erreicht man den Ort, so kann man wie bisher die Karte als zusätzlichen Siegpunkt verwenden. Stattdessen kann man aber auch das auf der Karte abgebildete Symbol nutzen, was die entsprechende Symbolgruppe bei der Endabrechnung um eins vergrößert. Wählt man diesen Weg, so legt man das Plättchen umgekehrt, d. h. mit der Sonne auf der Rückseite nach oben, auf sein Kolam. Die Sonne selbst ist kein Symbol, für das es Punkte gibt. Sie hilft aber dadurch, dass an sie angrenzende Symbole als verbunden gelten.
Das im Grunde abstrakte Spiel wird seinem Namen auf zweierlei Art gerecht. Zum einen bringt uns durch die sehr schöne und gleichzeitig funktionelle Aufmachung die Geografie Indiens näher. Zum anderen zeigen uns die Karten die Örtlichkeiten und geben uns kleine, zugleich aber einprägsame Fakten. Das Spiel selbst ist ein klassisches Familienspiel. Es hat einfache Regeln, ist sehr konstruktiv ausgerichtet und am Ende hat jeder Spieler ein paar gute Gruppen zusammengebaut und nimmt somit ein positives Spielgefühl mit. Dabei bietet es zwei interaktive Komponenten: Das Reisen auf der Karte Indiens und das Tauschen der Plättchen über die Tauschfelder der Mitspieler. Beide Teile sind dabei so gestaltet, dass sie nur äußerst selten zum Schaden eines Spielers genutzt werden. In fast allen Fällen wird der eigene Vorteil gesucht. Der Einfluss auf die anderen Spieler dient dann mehr dazu, sich zwischen zwei gleichen Alternativen entscheiden zu können.
Das klingt nun komplizierter als es ist, denn die Entscheidung für einen bestimmten Spielzug ist einfach und dauert in der Regel nicht lange. Da alle Spielzüge nacheinander stattfinden, bin ich bis zu 80% Zuschauer am Spielgeschehen. Dies klingt nach einer von Spielern oft gefürchteten, hohen Downtime. Hier nun passiert etwas Seltenes: Die Zeit wird genutzt um Überlegungen für sein eigenes Kolam anzustellen. Welche Plättchen benötige ich? Wohin gehe ich, wenn mein Vorgänger in diese oder jene Stadt zieht? Auch schaue ich, welche Plättchen und damit welche Symbole im Moment besonders oft oder selten ausliegen. Und wenn ich schon Karten habe, schaue ich sie mir an und lese den Text - Discover India.
Wir haben hier das seltene Phänomen, das ein Spiel unterhält und dabei gleichzeitig gemütlich vonstattengeht. Es erscheint wie ein Anachronismus in der heutigen Zeit, dass ein solches Spiel veröffentlicht wird, während viele aktuelle Spiele auf Aktionismus und dicht gedrängtem Ablauf setzen. Gerade wegen seiner Andersartigkeit bietet es Abwechslung, und ich lege "Discover India" all denjenigen warm ans Herz, die beim Spielen eine angenehme, unterhaltsame Stunde verbringen möchten - ohne Hetze, ohne Action, mit Spielen im (brett)spielerischen Sinne - mit einem interaktiven Solitärspiel. (wd)
Steckbrief Discover India |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Günter Cornett, Peer Sylvester | Queen Games | 2 - 5 Spieler | ab 8 Jahre | 30 - 45 Minuten | Claus Stephan, Martin Hoffmann |