Man würfelt wieder, der Würfel ist "in". Längst hat sich das in manchen Kreisen ehedem verpönte Objekt des Glücks als ein ernst zu nehmender Mechanismus moderner Spiele rehabilitiert. Das hat auch "alea" (lat. "Würfel") erkannt und mit Vegas in den vergangenen Monaten einen großen Erfolg erzielt, der zum "Spiel des Jahres 2012" nominiert wurde. In Spielen wie Troyes sind die Würfel zudem weniger ein Instrument des launischen Zufalls denn taktisches Mittel, während beim Im Wandel der Zeiten - Würfelspiel dem altehrwürdigen System des Würfelsammelns neues Leben eingehaucht wurde, um es auf eine neue Stufe der spielerischen Herausforderung zu heben. Schließlich wird das exzessive Würfeln im aktuellen Queen Games-Spiel Escape für das kooperative Spiel entdeckt. Und nun wiederum alea: Wo ist das neue Würfelspiel Saint Malo in diesem Feld einzuordnen? Und natürlich: Kann es sich gegen die starke Konkurrenz nicht zuletzt aus dem eigenen Haus behaupten?
In Saint Malo setzen die Spieler alles daran, die Würfel für einen siegpunktträchtigen Stadtausbau und für die Abwehr von Piratenangriffen einzusetzen. Die Stadt entsteht jeweils auf einem abwischbaren Spielerplan, dessen 45 Felder mit entsprechenden Symbolen für Mauern, Häuser oder Personen markiert werden. Jeder Spieler beginnt mit einem Kapital von drei Münzen sowie zwei Baumstämmen und hat bis zu drei Würfe mit den fünf Würfeln, die sechs Symbole zeigen. Dabei kann er sich entscheiden, Würfel zu sichern und diese ggf. beim letzten Wurf wieder einzusetzen. Danach kommt es zur Auswertung: Hier entscheidet man sich für ein Aktionssymbol und berücksichtigt darüber hinaus eventuell angefallene Säbel, die auf dem in der Mitte liegenden Spieltableau abgezeichnet werden, denn je nach Spieleranzahl kommt es nach vier, sechs, acht oder zehn Säbeln zu einem Piratenangriff. Wenn man genügend Geld hat, kann man Würfel für je zwei Münzen auf die gewünschte Seite drehen. Säbel sind dabei tabu: Sie dürfen werden weder weg- noch herbeigedreht werden.
Mit ihrem Würfelwurf können die Spieler u. a. Baumstämme für den Häuserbau einlagern oder Warenkisten einzeichnen. Kirchen kann man in den Werten 1-5 errichten, ausschlaggebend hierfür sind die gewürfelten und eingesetzten Kreuzsymbole. Mauersymbole dienen zur Verstärkung der äußeren Stadtseiten, wobei vollständig mit Mauern belegte Seitenfelder sowohl den Verteidigungswert der Stadt um zwei erhöhen als auch einen Bonus einbringen (zwei Geld, drei Siegpunkte oder eine Person der drei unteren Personenkategorien). Apropos Personen: Je nach Anzahl der geworfenen Kopfsymbole lassen sich unterschiedliche Personen für die eigene Stadt gewinnen. Die meisten bescheren direkte Siegpunkte (Tagelöhner, Priester, Gaukler und Adelige), wobei der Baumeister (3 Kopfsymbole) die eingelagerten Holzstämme in bis zu drei Häuser verwandeln kann, die dann je nach Anzahl 3 bis 9 Siegpunkte erbringen. Der Soldat (2 Symbole) erhöht dagegen "nur" den Verteidigungswert um eins, während der Händler für jede benachbarte Warenkiste eine Münze erhält, die ebenfalls mit dem Stift auf dem eigenen Spielplan eingezeichnet wird. Priester und Gaukler interagieren ebenfalls mit ihrem Umfeld: Der Geistliche bringt je einen Siegpunkt für die benachbarten Kirchen, wohingegen der Gaukler für jede angrenzende Personenart zwei Punkte erbringt. Adelige, für die fünf Personensymbole gewürfelt werden müssen, sind per se sieben Punkte wert.
Ist von einem Spieler der letzte Säbel einer Reihe gewürfelt worden, kommt es zum Piratenangriff. Dieser ist zunächst noch eher harmlos (Angriffswert 1), steigert sich aber dann von Mal zu Mal bis zum Maximum von 12. Wer in diesem Moment nicht mindestens genau so viel Verteidigungspunkte vorweisen kann, muss auf seinem Plan eine von maximal sechs Kanonen durchstreichen. Für jede durchgestrichene Kanone ist bei Spielende ein Abzug von fünf Siegpunkten hinzunehmen.
In Saint Malo muss man gleichermaßen für Sicherheit und Entwicklung sorgen. Hat man sich vor den Piraten ausreichend geschützt, kann man auch schon einmal bewusst beim ersten und zweiten Wurf Säbelsymbole liegen lassen, damit der Angriff die ungeschützten Mitspieler trifft. Wenn man schließlich durch Personen möglichst weit gekommen und der Kirchenbau gut vorangeschritten ist, kann man mithilfe des Baumeisters zügig seine Stadt vollenden, da das Spiel in der Runde endet, in der ein Spieler das letzte freie Stadtfeld besetzt hat, d. h. es mit einem Symbol markiert hat. In der Schlusswertung gibt es dann noch Punkte für übrig gebliebene Baumstämme und das nicht ausgegebene Geld. Wer alle Felder genutzt hat, erhält außerdem noch einen Bonus von fünf. Für jede aufsteigende und ununterbrochene Linie von Kirchen in den Werten 1-5 sind schließlich bis zu 20 Siegpunkte fällig. Bei Gleichstand gewinnt der Spieler, der noch mehr freie Plätze in seiner Stadt hat.
Saint Malo lebt vor allem von der interaktiven Spannung, ob man den nächsten Piratenangriff parieren kann und ggf. die Konkurrenten ins Messer, pardon, in den Säbel laufen lässt. Die eigene Entwicklung jedoch folgt am besten einem linearen Konzept, das nach mehreren Partien immer klarer wird: Für den Anfang reicht es häufig aus, einen Soldaten zu erwürfeln oder eine Seite der Mauer zu errichten. Mithilfe überlegt angeordneter Warenkisten kann ein Händler dann die notwendige Anzahl an Münzen einbringen, die man benötigt, um im weiteren Spielverlauf das Würfelergebnis nach seinen Wünschen zu manipulieren. Schnell stellt sich heraus, dass man im Weiteren möglichst unterschiedliche Personen so zueinander anordnet, dass man im letzten Drittel einer Partie durch geschickten Einsatz von Gauklern eine hohe Zahl an Siegpunkten erhalten kann. Wer nun an der Spitze liegt, wird alles daran setzen, das Spielende zügig herbeizuführen.
Als Spiel kann Saint Malo insgesamt nicht völlig überzeugen. Das liegt zum einen an der Ausstattung. Ich habe das Spiel unterschiedlichen Gruppen vorgestellt und in schöner Regelmäßigkeit monierten alle Tester stets nach der ersten Runde, dass die Markierungen auf ihren Spielplänen durch kleinste zufällige Berührungen verwischten. Auch bei größter Vorsicht waren Flecken an der Hand in Kauf zu nehmen, Linkshänder haderten zu Recht mit der für sie völlig ungünstigen Aufteilung des Plans. Der daraus resultierende Unwille richtete sich fortan überhaupt gegen die Notwendigkeit, seine Stadt auf abwischbarem Grund zu errichten: "Warum muss ich jetzt Münzen, Baumstämme und Siegpunkte einzeichnen, wenn sich Chips und Marker doch viel besser dazu eignen?" Oder: "Wieso verschmiert das alles und warum werden keine Wischtücher zum leichteren Entfernen mitgeliefert? In Pictomania hat das doch auch funktioniert!" Oder: "Dann wäre es doch besser, gleich einen Block zu nehmen."
Dies alles wäre vielleicht noch zu verschmerzen, wenn es da nicht noch ein weit größeres Manko gäbe: der allzu schematische Spielverlauf. Zu Beginn erweist sich Saint Malo bei jeder möglichen Anzahl von Mitspielern noch als ein durchaus unterhaltsamer Wettlauf. Doch nach Erkennen der idealen Spielzüge verliert es rasch an Wiederspielreiz. Das liegt daran, dass es im Unterschied etwa zum "Im Wandel der Zeiten"-Würfelspiel nur auf das Sammeln eines Aktionswürfelsymbols und auf die Säbel ankommt. Kombinationen aus mehreren Symbolen sind dahingegen von dem sonst regeltechnisch aufgeblähten Spielprinzip ausgeschlossen, sodass der Ablauf sich alsbald als recht einförmig entpuppt.
Was sich in den Wochen vor Erscheinen von Saint Malo noch als Neugierde auf ein vermeintlich innovatives Würfelspiel mit dem Gimmick abwischbarer Tableaus ausnahm, wird also bald zur Enttäuschung. Selbst Holzteile und Pappmarker hätten nicht über die eher durchschnittliche Spielidee hinwegtäuschen können. Vegas braucht also den Rivalen aus dem eigenen Verlag nicht zu fürchten, die anderen in der Einleitung genannten modernen Spiele mit Würfeln erst recht nicht. (thb)
Steckbrief Saint Malo |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Inka Brand, Markus Brand | alea | 2 - 5 Spieler | ab 10 Jahre | ca. 45 Minuten | Harald Lieske, Julien Delval |