Diese Rezension muss ich mit einem Geständnis beginnen: Obwohl ich verheiratet bin, habe ich eine Freundin. Sie heißt Maria und lebt auf Kuba, genauer in Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt dieses Landes. Meine Frau meint, sie wäre käuflich. Das stimmt aber nicht, denn bestechlich ist nur der Fahrer unserer Limousine. Unbestritten hingegen ist, dass Maria viel Männerbesuch hat.
Die Geschichte beginnt im Hafen von Santiago. Das dort liegende Schiff möchte gern viele Tabak und Zuckerrohr, Südfrüchte sowie ein paar Zigarren laden. Rum ist heute nicht gefragt. Wir müssen das nun über unsere Compañeros besorgen, die wir in der Stadt finden.
Leider sind Autos rar und so teilen wir uns eine Limousine. Um Streit zu vermeiden, gibt es eine einfache Transportregel. Reihum darf jeder bestimmen, wohin wir fahren. Die Fahrt von einem Compañero zum nächsten ist kostenlos, die Weiterfahrt zu einem weiteren Compañero kostet einen Peso Trinkgeld an den Fahrer.
Der Compañero, bei dem wir anhalten, hilft uns. Viele geben uns Waren: Conchita handelt mit Südfrüchten, Pedro pflanzt Tabak und Miguel verarbeitet Holz. Jeder dieser Compañeros stellt uns zwei seiner Waren kostenlos zur Verfügung. Nur Pablo ist ein Schlitzohr: Er besorgt, was das Herz begehrt, gibt uns dafür aber auch nur eine Ware. Und Maria? Sie steht über dem Handel, denn sie zu besuchen ist eine Ehre, was sich in zwei Siegpunkten ausdrückt.
Doch der Compañero hilft uns nicht nur direkt, sondern lässt auch seine Connections spielen. In dem Viertel, in dem er wohnt, vermittelt er uns ein Geschäft. Wir begeben uns zu dem Gebäude, vorausgesetzt keine unserer Freunde ist schon hier. Dann nutzen wir die Connection: Die Zigarrenfabrik fertigt aus unserem Tabak Zigarren oder wir tauschen auf dem Schwarzmarkt eine Ware. Doch auch kleine Gemeinheiten sind möglich. So können wir das Zollamt aktiv werden lassen und so die Nachfrage auf dem Schiff für eine Ware aufheben lassen.
Schließlich ist unsere Rundfahrt durch die Stadt beendet und wir kommen zur Verladestation - einem simplen Kran. Nun kann reihum jeder Spieler Waren auf das Schiff verladen, doch gibt es dafür keine Pesos. Stattdessen erhalten wir zwei Siegpunkt pro Ware. Ist die Nachfrage des Schiffes befriedigt, fährt es ab. Sofort legt ein neues Schiff an, doch beliefern können wir es erst nach einer weiteren Rundfahrt am Kai von Santiago.
Es kann passieren, dass wir nicht alles, was nachgefragt wurde, liefern können. Natürlich können wir auch unserem Fahrer den Peso geben, damit er am Kran vorbeifährt. In beiden Fällen steigen die Siegpunkte für Waren, die nach der nächsten Hafenrunde geliefert werden ... oder der Kapitän hat die Nase vom Warten voll und legt mit einer Teilladung ab.
Nach sieben Schiffen endet unser Aufenthalt in Santiago. Restliche Waren können nun noch in Siegpunkte verwandelt werden und dann entscheiden sie über den Sieger.
Cuba war ein gutes Spiel. Havanna gefiel mir besser. Aber es muss nicht immer die größte Stadt eines Landes sein, manchmal genügt die zweitgrößte wie hier im Fall von Santiago de Cuba, denn es ist ein Spitzenspiel.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Es beginnt beim einfachen Spielverlauf: Auto fahren - Compañero treffen - Gebäude aufsuchen. Es setzt sich fort bei den Entscheidungen. Jede ist so wichtig, dass man kurz, und zwar wirklich kurz überlegt, was man tut und gleichzeitig ist jede einzelne Entscheidung so unbedeutend, dass das Spiel Fehler verzeiht. Es geht weiter über die Vielfältigkeit. Die neun Personen und die zwölf Gebäude werden für jedes Spiel neu auf dem Spielplan ausgelegt. Der Ablauf ändert sich damit nicht, wohl aber die taktische Herausforderung und so gleicht kein Spiel dem anderen. Zuletzt bleibt das Spiel durchgehend spannend. Mit der Spielerfahrung entwickelt sich auch ein Gefühl für, ob es während des Spiels gut läuft, doch vielfältige Möglichkeiten Siegpunkte zu bekommen sowie ihre verdeckte Aufbewahrung sorgen für eine stete Unsicherheit über den Spielstand.
Ich habe Santiago des Cuba mit einer großen Zahl von verschiedenen Spielern gespielt. Darunter waren Gelegenheitsspieler wie Vielspieler, Strategen, Taktiker, und Spieler, die lieber auf ihr Bauchgefühl vertrauen. Sie alle wurden mit den diversen Compañeros, Gebäuden und Waren konfrontiert. Niemand hatte Probleme mit dem Spielablauf, wobei ich sagen muss, dass auch die Gelegenheitsspieler über ein wenig Spielerfahrung verfügten. Dazu tragen ein klarer Spielverlauf und klare Ziele bei. Das Material hilft hier mit seinen verschiedenen Formen: Oktogone und Würfel, eckige und runde Plättchen. Vor allem aber die Symbole auf den Compañeros und Gebäuden mit ihrer klaren Darstellung und einer grundlegenden Systematik helfen beim Erlernen und im Verständnis. Lediglich der Sichtschirm hätte für eine besser Ordnung und der damit verbundenen Übersicht etwas größer sein dürfen.
Gefällt Santiago de Cuba schon einer großen Bandbreite von Spielern, so gefällt es auch in den diversen Besetzungen. Ob zwei Spieler bei einer Partie mit direkter gegenseitiger Beeinflussung oder vier Spieler mit mehr Abwägungen, das Spiel bietet genügend Einflussmöglichkeiten und einen zügigen Spielerverlauf. Ein kleiner Zufallsfaktor bei der Nachfrage auf den Schiffen bringt genau die Unwägbarkeit in das Spiel, die es benötigt um Grübeleien zu verhindern. In diesem Fall sind es Würfel gepaart mit einem Mechanismus, dass der würfelnde Spieler Einfluss auf die Nachfrage nehmen kann. Weitere kleinere Details wie den Erwerb von Gebäude habe ich auch nicht erwähnt. All diese Feinheiten sind schnell erlernt, bringen zusätzliche Vielfalt und taktische Möglichkeiten ins Spiel, ändern den grundsätzlichen Ablauf aber nicht.
Als ich wieder einmal bei Maria war, ging ich anschließend beten. Die Kirche befand sich im Viertel der roten Rose, die den beiden weiblichen Charakteren Maria und Conchita vorbehalten ist. Ein Mitspieler meinte dazu "Gott schenkt dir einen Siegpunkt". Ich weiß nicht, ob dieser Siegpunkt auch zum Sieg gereicht hat, doch eines weiß ich: Er hat uns über Eggert Spiele ein ganz hervorragendes Kennerspiel zukommen lassen. (wd)
Steckbrief Santiago de Cuba |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Michael Rieneck | eggertspiele | 2 - 4 Spieler | ab 10 Jahre | 40 - 60 Minuten | Michael Menzel |